Altnazis gejagt und Ostdeutsche im Film zu Wurst verarbeitet: Die Abenteuer des Dietrich Kuhlbrodt
Berlin - Oberstaatsanwalt a. D., Schauspieler, Filmkritiker und eine coole Socke: Dietrich Kuhlbrodt (92) blickt auf ein schillerndes und abenteuerliches Leben, geprägt von Widersprüchen, zurück. TAG24 traf auf die Rampensau und komplexes Gesamtkunstwerk.
Alles in Kürze
- Dietrich Kuhlbrodt blickt auf ein abenteuerliches Leben zurück.
- Er war Oberstaatsanwalt und jagte Altnazis.
- Kuhlbrodt spielte in Filmen mit, wie z.B. 'Das deutsche Kettensägenmassaker'.
- Sein Porträtfilm 'Nonkonform' ist kostenlos in der ZDF-Mediathek verfügbar.
- Die erweiterte Neuauflage seines autobiografischen Buches ist erschienen.

Zu Filmvorführung, Gespräch und Buchpremiere reiste Kuhlbrodt, längst Pensionär, von Hamburg aus nach Berlin an.
Im Kino Krokodil zeigte Regisseur Arne Körner (39) seinen Porträtfilm über den umtriebigen und unangepassten Juristen.
Fünf Jahre begleitete er den Meistererzähler mit Schalk im Nacken und beleuchtete alle Facetten: Der Titel "Nonkonform" passt dabei wie die Faust aufs Auge.
Kuhlbrodt ist kein Unbekannter im Kulturbetrieb, wenn man ihn als weites Feld der Kunstproduktion begreift. Als Publizist ist er eine Institution, schreibt seit 1957 Filmkritiken, aber er ist auch ein Selbstdarsteller.
Als er Christoph Schlingensiefs (1960-2010) ersten "Film Tunguska - Die Kisten sind da" (1984) rezensierte, klingelte das Telefon bei Kuhlbrodt.
Schlingensief wollte, dass er in seinem zweiten Film "Menu Total" (1985) an der Seite des damals noch unbekannten Helge Schneider (69) mitspielte - und so kam es auch.
Der promovierte Jurist verkörperte darin einen Nazi-Offizier in Uniform. Es gab Buhrufe bei der Premiere. 1989 stand er dann als Reichspropagandaministers Joseph Goebbels (1897-1945) vor der Kamera. Wieder für Schlingensief.
Von den 1960ern bis in die 1980er Jahre hinein verfolgte er im Berufsleben - trotz Steine von oben in den Weg gelegt - NS-Schergen, die in der miefig-spießigen Bundesrepublik wieder ungestraft als Beamte eingesetzt worden waren, und deckte dabei Euthanasie-Morde auf.
"Nonkonform": Film über Dietrich Kuhlbrodt mit Musik von Helge Schneider


Kuhlbrodt, mittlerweile 92 Jahre alt, Familienvater, erlebte als Schüler 1943 den Bombenhagel auf seine Heimatstadt Hamburg, war Hitlerjunge, verstecke ein Jahr den Ghanesen Johnny in seinem Keller vor der Abschiebung, demonstrierte 1968 trotz Verbot offen mit und ist Träger eines antifaschistischen Ordens.
Die Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit war immer Teil seines Lebens, sei es künstlerisch oder als Jurist.
Dabei ist ihm die gesetzlich garantierte Kunstfreiheit immer ein hohes Anliegen, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Der Ausbruch aus dem Bürgerlichen nimmt mitunter groteske Züge an, wenn der Hanseat mit der Kodderschnauze in Schlingensiefs Horror-Komödie "Das deutsche Kettensägenmassaker" (1990) Wende-Ostdeutsche zu Wurst verarbeitet oder beim Performance-Kollektiv HGich.T in die Rolle des rattigen "Opa 16" schlüpft. Aber es macht einen Heidenspaß!
Im Kino Krokodil war Kuhlbrodt an diesem Tag nicht mehr gut zu Fuß, aber weiter kokett unterwegs und der Geist blitzte auf. Abgrenzung, Provokation, Ablenkung: All das schwingt in dem Filmtitel "Nonkonform" mit, doch wie wichtig sei ihm das gewesen?
"Wir saßen da nicht in Gremien. Es hat sich alles so selbst entwickelt", sagte er mit Blick auf die Dreharbeiten. Auf die Frage, ob er Angst hatte, als er Nazis jagte, antwortete Kuhlbrodt: "Ich bin durch die Erfahrung politisch geworden."
Die erweiterte Neuauflage des autobiografischen "Kuhlbrodtbuch" ist am 15. Juli erschienen. Der Film "Nonkonform" ist kostenlos in der ZDF-Mediathek verfügbar.
Titelfoto: missingFILMs (Bildmontage)