Hamburg - Sie überlebte die schreckliche NS-Zeit: Ruth Winkelmann (96), geboren 1928 als Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter, war am Donnerstagabend im ZDF zu Gast. Genau 80 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation von Nazideutschland schilderte sie im Gespräch mit Markus Lanz (56) zum Tag der Befreiung ihre Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs.
Zunächst machte der Moderator seine große Hochachtung gegenüber der Zeitzeugin deutlich: "Es ist etwas Besonderes, dass Sie heute hier sitzen", betonte Lanz. "Sie sitzen da - in Farbe. Sie bewegen sich, Sie reden, Sie sind kein Schwarz-Weiß-Foto in irgendeinem Geschichtsbuch."
Winkelmann sei bei Kriegsende 16 Jahre alt gewesen. "Dieser 8. Mai, die Tage davor, die Tage danach - wie haben Sie das in Erinnerung? Können Sie mal versuchen, uns diese Atmosphäre zu beschreiben? Was war das für eine Situation?", fragte Lanz.
"Also davor hatten wir nur Hunger und haben gehofft, dass bald die Russen kommen, dass wir frei sind. Wir haben sie gehört, schon Wochen vorher, denn sie kamen ja von Osten und gerade in Wittenau war es so, dass [Richtung] Osten keine Häuser standen, also hat man täglich gehört, dass die Russen immer dichter kamen", klärt die Berlinerin auf.
Weiter erzählte sie: "Wir hatten im Norden von Reinickendorf das große Glück gehabt, dass wir eine Kampftruppe hatten, die weder geplündert noch vergewaltigt hat."
Lanz schlussfolgert: "Deswegen schreiben Sie in Ihrem Buch: 'Diese Russen hätte ich allen anderen auch gewünscht.'" Winkelmann nickte und bejahte.
Holocaust-Überlebende Winkelmann über russische Rettung: "Haben Faschismus hinter uns"
Die Halbjüdin erklärte in der Sendung zu den Soldaten der sowjetischen Besatzungsmacht: "Das sind doch Menschen, die ihrer Tätigkeit nachgehen, die sie [machen] müssen."
Als die Befreiung durch die Russen damals unmittelbar bevorgestanden habe, sei Winkelmann ihrer Mutter im Bunker um den Hals gefallen. "Wir haben es geschafft, wir haben überlebt, wir sind jetzt frei", so ihr Glücksschrei. "Wir haben den Faschismus hinter uns."
Dies hätten andere Personen im Raum überhaupt nicht verstanden. Schließlich sei man gerade besetzt worden.
"Das ist genau der Punkt. Es gab also auch Leute, die das nicht als Befreiung empfunden haben. Warum? Weil sie noch so fanatisiert und ideologisch verblendet waren, weil sie Angst vor den Russen hatten?", hakte Lanz nach.
"Die große Angst bestand darin, dass man vergewaltigt und geplündert wird, und das ist ja auch viel passiert", berichtet Winkelmann. Allgemein sei der 8. Mai deshalb von einem Großteil nicht als Tag der Befreiung betrachtet worden. "Es war der Tag, wo keine Bomben und Granaten mehr gefallen sind", so ihre rückblickende Einordnung.
Die ganze, rund 77-minütige Folge mit allen Aussagen und Standpunkten kann in der ZDF-Mediathek auf Abruf angesehen werden.