Säure-Attentat auf Top-Manager: Arbeitgeber sucht nach Tätern, weil Polizei kapituliert
Haan - Dr. Bernhard Günther (58) wird 2018 beim Joggen mit ätzender Säure übergossen, sein Gesicht ist seitdem schwer gezeichnet. Schon sechs Jahre zuvor gab es einen Angriff auf den Finanzvorstand von RWE und später der Ökostrom-Tochter innogy. Während die Täter wohl beauftragt wurden, suchte die Polizei lange Zeit vergeblich im familiären Umfeld.
Alles in Kürze
- Dr. Bernhard Günther überlebt Säure-Attentat 2018.
- Polizei suchte zunächst im familiären Umfeld.
- Günther macht Listen mit Verdächtigen aus beruflichem Umfeld.
- Hinweisgeber erhält 180.000 Euro für Täternamen.
- Auftraggeber des Attentats bleibt unbekannt.

Sonntagmorgen, 4. März 2018. Nach einer zehn Kilometer langen Laufrunde mit zwei Bekannten löst sich die Gruppe gegen 9.30 Uhr auf, Bernhard Günther läuft die letzten 300 Meter allein.
Er hört, wie jemand von hinten auf ihn zugerannt kommt. "In dem Moment wurde ich von jemandem, der mir von vorn den Weg abschnitt, aufgehalten und zu Boden gebracht", erinnert er sich in einer dreiteiligen ARD-Doku. "Die Hoffnung war, dass sie nur das Handy oder Geld wollen."
Doch einer der Täter fixiert ihn am Boden, der andere holt ein Glasgefäß hervor, schraubt den Deckel ab und schüttet aus der großen Öffnung eine unbekannte Flüssigkeit auf das Gesicht des Energiemanagers.
Die Männer lassen von ihm ab. Der Familienvater schleppt sich nach Hause, spült sein Gesicht am Waschbecken ab, wählt den Notruf.
Es folgen zahllose Operationen am Gesicht. Unter anderem werden ihm Ober- und Unterlider transplantiert, die Augen anschließend tagelang zugenäht, damit die transplantierte Haut anwachsen kann.


ARD Crime Time: Tatvorwurf des versuchten Mordes fallengelassen, weil Säure nicht ätzend genug ist

Der damals 51-Jährige hatte, wenn man das so bezeichnen kann, sogar noch Glück. "Wenn man so hoch konzentrierte Säure schluckt oder einatmet, kann das relativ leicht zum Tod führen", sagten ihm die Ärzte. Die Flüssigkeit stellt sich als 75-prozentige Schwefelsäure heraus. Ein Fakt, der die Ermittlungen erheblich beeinträchtigen wird.
Staatsanwältin Janina Bachtenkirch bewertet das Attentat zunächst als versuchten Mord. Als dann aber die Menge und Konzentration bekannt werden, kann dieser Tatverdacht nicht aufrechterhalten werden. Daraus resultiert, dass weitaus weniger intensiv, beispielsweise durch Telefonüberwachungen, ermittelt werden darf.
Schnell liegt der Fokus auf dem Familien- und Freundeskreis. Denn Säureangriffe werden vorrangig von Bekannten der Opfer verübt. Ein Trugschluss, wie sich herausstellt.
"Es war für uns unbegreiflich und wir hatten das Gefühl, dass nicht in jede Richtung geschaut wird", äußert sich erstmals öffentlich Günthers Ehefrau, die eine der Hauptbeschuldigten war.
Dass der Energiemanager bereits im Juni 2012 auf einer Joggingrunde angegriffen wurde und Fleischwunden, Blutergüsse und einen Knöchelbruch davontrug, kann kein Zufall sein. Damals ließ die Polizei verlauten, Bernhard Günther sei "zur falschen Zeit am falschen Ort" gewesen.

Hinweisgeber kassiert 180.000 Euro für Namen der Täter

Günther ist sich sicher, dass der Strippenzieher im beruflichen Umfeld zu suchen ist. Er verfasst zu beiden Vorfällen eine Liste mit Namen, die von seinem Ausfall profitiert hätten. Ein Name steht auf beiden Seiten. Diesen meldet er den Ermittlern. Aber: "Es konnte sich kein Tatverdacht hinsichtlich einer bestimmten Person erhärten", sagt Staatsanwältin Janina Bachtenkirch.
Die Ermittlungen werden letztlich eingestellt. Anlass für das Opfer, Privatermittler zu engagieren.
Die außergewöhnlich hohe Belohnung von 80.000 Euro führt dazu, dass sich der letztlich wichtigste Hinweisgeber meldet. Er verrät zunächst einen, nach Zahlung weiterer 100.000 Euro auch den zweiten Täternamen.
Beide werden später zu zwölf beziehungsweise elf Jahren Haft verurteilt. Bis heute aber wird nach dem mutmaßlichen Auftraggeber gesucht.
Die dreiteilige Doku "Das Säure-Attentat - Der Angriff auf Bernhard Günther" gibt es auf Abruf in der ARD-Mediathek. Das Erste strahlt die beiden ersten Folgen am Dienstag (8. Juli) ab 23.15 Uhr aus.
Titelfoto: Bildmontage: SWR/DOKFILM/Martin Christ ; Rolf Vennenbernd/dpa