Club Achtermai: Vom Betriebskulturhaus zum Techno-Tempel

Chemnitz - Die Wende brachte viele buchstäbliche Freiräume: leere Fabriken, Hallen und Kulturhäuser. So auch das frühere "Betriebskulturhaus 8. Mai" in Siegmar - das in den 90er-Jahren zum Techno-Tempel "Achtermai" wurde. Hier feierte die junge Elektronik-Szene ihre wildesten Partys, Star-DJs aus ganz Deutschland reisten an. Chemnitz wurde zum Mekka für Techno-Fans der härteren Gangart - und eroberte sogar die Berliner "Loveparade".

Einst Pilgerstätte für Techno-Fans: Jörg Vieweg (50) vor den alten VEB-Hallen in Siegmar. Hinter dem Turm stand bis 2004 der Club "Achtermai".  © Ralph Kunz

Jörg Vieweg (50), heute als Stadtrat der SPD-Fraktion bekannt, brachte 1998 den Techno nach Siegmar. Das einstige Kulturhaus des "VEB Großdrehmaschinen 8. Mai" an der Lassallestraße - hier spielten bis zur wilden Wendezeit Größen wie die Puhdys - stand seit Jahren leer.

Zusammen mit zwei Freunden wagte Jörg Vieweg ein wahnwitziges Unterfangen: Sie wollten den alten DDR-Bau in einen Techno-Club verwandeln.

"Am Anfang haben uns alle für verrückt erklärt", erinnert sich Jörg Vieweg.

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Sie statteten das frühere Kulturhaus mit DJ-Pult und einer ordentlichen Anlage aus. "Dort ging der Rave ab", sagt Jörg Vieweg. "Manche gingen nur mit Ohropax rein."

Das gewagte Projekt war ein voller Erfolg: Schon im Jahr 2000 hatte sich der "Achtermai"-Club einen Namen gemacht. Junge Leute pilgerten von weither jedes Wochenende nach Siegmar: "Wir hatten Gäste aus Berlin, Frankfurt, Tschechien, Italien."

DJ-Größen wie Carl Cox (58) und Chris Liebing (52) kamen nach Chemnitz, um den Partywütigen einzuheizen.

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Der Abend kann beginnen: DJ "Recall 8" kommt mit Koffern voller Schallplatten am Club in Siegmar an.  © Jörg Vieweg
DJ "Recall 8" gehörte zur Stammbesetzung des "Achtermai", hier im Jahr 2003.  © Jörg Vieweg
Verrückte Outfits, stundenlanges Tanzen: So sah ein typischer "Achtermai"-Rave aus.  © Jörg Vieweg
Mit einem Chemnitz-Truck feierte der Club "Achtermai" von 2001-2003 auf der Berliner "Loveparade".  © Jörg Vieweg

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Der "Achtermai" tanzt auf der "Loveparade", 2003. Im rot-weißen T-Shirt: Club-Leiter Jörg Vieweg.  © Jörg Vieweg

Aufgelegt wurde mit Schallplatten - die DJs hatten sie kofferweise im Gepäck, manche kamen mit Kofferträgern angereist.

Die Szene vereinte die unterschiedlichsten Menschen: "Es war sehr breit gefächert, vom Rechtsanwalt über den Taxifahrer bis hin zum Schlosser. Es gab viel studentisches Publikum, aber auch Lehrlinge", sagt "Achtermai"-Begründer Jörg Vieweg.

Neben der Liebe zur elektronischen Musik vereinte sie die ausgefallene Kleidung: "Die Outfits waren sehr verrückt und bunt. Man hat Schlaghosen und Blümchenhemd angezogen, manche Herren hatten auch Netz-Oberteile an."

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Auch bei den Getränken war sich die Szene einig: "Es gab alles Erdenkliche mit Red Bull, sogar Becherovka."

Mit dem "Achtermai"-Club schaffte es die Chemnitzer Szene bis auf die Berliner "Loveparade" - mit einem selbst gebauten Truck fuhren die Techno-Verrückten von 2001 bis 2003 zu dem Kult-Event. In seiner Heimatstadt war der "Achtermai" jedoch umstritten. "Wir hatten viele Befürworter in Chemnitz - aber auch Gegner", sagt der einstige Club-Chef Vieweg. So manchem Anwohner waren die lautstarken Partys ein Dorn im Auge.

Letztlich sorgten Veränderungen in der Techno-Szene für das Aus. Um 2004 war das Publikum weniger und älter geworden. Außerdem hatte der Vermieter andere Pläne für das Grundstück. Am 30. August 2004 zogen die Elektronik-Fans aus dem einstigen VEB-Kulturhaus, einen Tag später wurde es abgerissen. Die Fläche steht noch immer leer.

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