"Aus dem Ruder gelaufen": Wie die Berliner Kunst die Spiritualität entdeckt und daran scheitert
Berlin - Das Kunstprojekt "Signature Move" aus Berlin war in diesem Jahr mit großen Ambitionen gestartet: In einer zum Ausstellungsraum umfunktionierten Privatwohnung zeigte die Schau Werke von lokalen und international renommierten Künstlern - alles mit organisiert von Ex-Drogenabhängigen. Doch schon nach Ausstellung Nummer zwei steht das Projekt vor dem Aus. TAG24 hat einen der Protagonisten getroffen.
Beim zweiten Besuch im Corbusierhaus im Westend wirkt Alex Winterstein (34) müde. Der Künstler schluckt eine Tablette des Antidepressivums Venlafaxin und murmelt wie zur Entschuldigung: "Ist nur vorübergehend."
"Das ist alles irgendwie aus dem Ruder gelaufen", seufzt der Kurator und meint die Entwicklung des "Signature Move"-Projekts. Die frühere Unbedarftheit sei einer zunehmenden Frömmigkeit gewichen.
Gerade ist die Ausstellung "Signature Move 2" zu Ende gegangen, die Winterstein erneut mit Daniel Hopp (38) kuratiert hat. "Ein Erfolg. Das schon", so der 34-Jährige - ein Erfolg wohl nicht zuletzt, weil ein unerwarteter Todesfall am Rande der Vorgängerausstellung dem aktuellen Projekt einigen Rückenwind beschert hatte.
Der Tod - auch bei "Signature Move 2" spielte er eine zentrale Rolle. In dem dort gezeigten Dokumentarfilm "Nichts für die Ewigkeit" von Britta Wandaogo (60) begleitet die Regisseurin das Leben und Sterben ihres drogenabhängigen Bruders Dirk mit der Kamera.
Die britische Künstlerin Suzanne Treister (67) wiederum setzt sich mithilfe neuer Technologien mit alternativen Welten und neuen Glaubenssystemen auseinander, Alexander Roob (69) beschäftigt sich in seinem Werk mit Alchemie und Mystik.
Alex Winterstein berichtet, dass "Signature Move 2" und die Folgeausstellungen ursprünglich jeweils eines der zwölf spirituellen Prinzipien der Narcotics Anonymous (NA) - einem an die Anonymen Alkoholiker angelehnten Selbsthilfeprogramm - als Motto haben sollten.
Amazonas-Ritual sorgt für Streit
"Viele am Projekt Beteiligte sind selbst ehemalige Abhängige", berichtet Winterstein. Mit der Nüchternheit habe sich ein Raum für jenseitige Fragen in der Kunst geöffnet. "Wir wollten das Clean-Sein zum Motor der Kunst machen."
Für eine erste Kontroverse in der Szene habe dann aber eine Kambô-Zeremonie in den Ausstellungsräumen gesorgt.
Bei diesem Heilungsritual aus der Amazonas-Region wird giftiges Froschsekret in kleine Brandlöcher auf der Haut geträufelt - für einige sei das ein Verstoß gegen das neue Reinheitsgebot in der Kunst gewesen, so Winterstein.
Vor allem an Schritt zwei der NA-Prinzipien - dem Glaube, dass nur "eine Macht, die größer ist als man selbst ist, die geistige Gesundheit wiederherstellen kann" - entspinne sich der Streit. Winterstein: "Ich bin da pragmatisch. Jeder muss selbst entscheiden, was das für einen bedeutet."
Doch nicht jeder sehe das so: Die früher "härtesten Junkies" seien heute glühende Anhänger unterschiedlichster Lehren - von fernöstlichen Philosophien über Human Design bis zu Verfechtern von "Lichtnahrung", sogar ein paar Maoisten gebe es. Sein ehemaliger Partner Daniel Hopp glaube an das Heilsversprechen der Kunst und habe diese selbst zur "höheren Macht" erklärt.
"Da kommen wir aktuell nicht zusammen", sagt Alex Winterstein und schluckt eine Ibuprofen. Auf die Frage, ob es eine "Signature Move 3"-Ausstellung geben wird, entgegnet er: "Das steht in den Sternen."
Titelfoto: Signature Move (Bildmontage)

