Sachsens Schausteller hoffen auf Volksfeste: "Wir sitzen in den Startlöchern"

Chemnitz - Diese Woche wurde das Münchner Oktoberfest coronabedingt abgesagt - das mit sechs Millionen Besuchern weltweit größte Volksfest.

Düstere Wolken über schwebendem Elefant: Im August 2020 wurde auf dem Chemnitzer Hartmannplatz der erste Rummel nach dem Corona-Stopp aufgebaut. Doch die Lage der Schausteller-Branche sollte sich danach weiter verdüstern.
Düstere Wolken über schwebendem Elefant: Im August 2020 wurde auf dem Chemnitzer Hartmannplatz der erste Rummel nach dem Corona-Stopp aufgebaut. Doch die Lage der Schausteller-Branche sollte sich danach weiter verdüstern.  © Uwe Meinhold

Das inzwischen zweite Festverbot in Folge könnte auch hierzulande vorschnelle Absagen von Jahrmärkten, Stadtfesten und so mancher Kirmes nach sich ziehen - ein Fiasko nicht nur für die schwer gebeutelte Schaustellerzunft.

Wir sprachen mit Klaus Illgen (74), Vorsitzender des Mittelsächsischen Schaustellerverbandes in Chemnitz, über vergällte Vergnügungen, verzweifelte Zunftflüchtige und schmerzliche Trennungen.

TAG24: Herr Illgen, wann waren Sie zuletzt arbeiten?

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Klaus Illgen: In diesem Jahr noch gar nicht! Unser Familienunternehmen stand mit der Bimmelbahn zuletzt im Dezember 2019 auf dem Chemnitzer Weihnachtsmarkt.

Zwischen August und September 2020 konnten nur kleinere Volksfeste zum Beispiel in Zschopau, Olbernhau, Freital oder Borna abgehalten werden - alle ohne Bühnen, Künstler und Bierzelte, aber mit Hygienekonzepten.

TAG24: Wie sehen die aus?

Klaus Illgen: Feiern wurden zur geschlossenen Veranstaltung. Die Festplätze mussten eingezäunt werden. Allein für den 10.000 Quadratmeter großen Chemnitzer Festplatz auf dem Hartmannplatz mussten wir uns für mehrere 1000 Euro Bauzäune leihen.

Wir ließen sie mit bunten Planen mit Blumen- und Volksfestmotiven bespannen, damit es nicht so hässlich aussah. Die Besucherzahl war je nach Ort auf 500 bis 1000 beschränkt. Jeder musste an den meist zwei Zauneingängen seine Personalien zur Kontaktnachverfolgung abgeben.

So funktionieren die Abstandsregeln bei den Fahrgeschäften auf dem Rummel

Feiern mit Abstand: Vor Beginn des Zwickauer Herbstvolksfestes im September 2020 auf dem Platz der Völkerfreundschaft markiert ein Mitarbeiter Abstandsmaße auf dem Boden.
Feiern mit Abstand: Vor Beginn des Zwickauer Herbstvolksfestes im September 2020 auf dem Platz der Völkerfreundschaft markiert ein Mitarbeiter Abstandsmaße auf dem Boden.  © Kristin Schmidt

TAG24: Wurden dabei auch Fantasienamen wie Donald Duck oder Mickey Mouse angegeben?

Klaus Illgen: Wir waren selbst erstaunt, aber 95 Prozent der Zettel waren richtig ausgefüllt. Die Freude, dass Volksfeste mit teils 1000-jähriger Tradition trotz Corona stattfanden, war wohl größer als alle Bedenken. Nach vier Wochen wurden die Zettel übrigens vernichtet.

Doch allein die wegen Datenschutz verschließbaren Urnen, in denen die Adresszettel eingesammelt wurden, kosteten uns jede 200 Euro extra.

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TAG24: Haben die "eingezäunten" Besucher die Konzepte angenommen?

Klaus Illgen: Wir haben nicht gespürt, dass bei Rummelaktivitäten gespart wurde. Viele waren einfach nur froh und dankbar, dass sie überhaupt feiern konnten.

Der zusätzlich erhobene Eintritt von einem Euro zum "Chemnitzer Ferienspaß" wurde ohne Murren bezahlt. Manche gaben sogar Trinkgeld. Auch Wartezeiten von 15 Minuten am Einlass wurden anstandslos in Kauf genommen.

TAG24: Mussten auf dem Rummel auch Abstandsregeln eingehalten werden?

Klaus Illgen: Bei Karussells blieb jedes zweite Fahrzeug leer, beim Riesenrad jede zweite Gondel unbesetzt. Von den 25 Autoscootern waren nur etwa 15 im Einsatz.

Vor allen Fahrgeschäften gab es Eingangsschleusen und Einbahnstraßenverkehr, damit sich niemand im Gegenverkehr ins Gesicht husten konnte.

Dank der Überbrückungshilfen können Insolvenzen vorerst verhindert werden

Für die Extraanfertigung musste Illgen in den 1980er-Jahren sogar einen Trabi mit eintauschen. Dieser jetzt in der Krise verkaufte Oldtimer-Wohnwagen war sein Leben auf Rädern.
Für die Extraanfertigung musste Illgen in den 1980er-Jahren sogar einen Trabi mit eintauschen. Dieser jetzt in der Krise verkaufte Oldtimer-Wohnwagen war sein Leben auf Rädern.  © privat

TAG24: Gingen die Konzepte auf?

Klaus Illgen: Es gab jedenfalls keine Hotspots oder Superspreader-Fälle, dafür aber aller zwei bis drei Tage Kontrollen vom Gewerbe- und Gesundheitsamt und keine Beanstandungen.

TAG24: Beschränkte Besucherzahlen plus halbleere Fahrgeschäfte ergibt ein Minusgeschäft. Wie hoch waren die Defizite der Corona-Rummel?

Klaus Illgen: Dank des Entgegenkommens der Kommunen konnten viele Kollegen mit einer schwarzen Null abschließen. Chemnitz und Olbernhau haben uns zum Beispiel die Platzmiete erlassen, andernorts wurde nur die Hälfte verlangt.

TAG24: Steht jetzt nach Monaten ohne Einnahmen die Existenz der Schausteller-Branche auf der Kippe?

Klaus Illgen: Inzwischen sind 90 Prozent der Überbrückungshilfen angekommen. Das reicht aus, um die Betriebe am Leben zu erhalten und Insolvenzen vorerst abzuwehren.

Doch wie es dann im Juni weitergeht, ist ungewiss. Kreditraten laufen weiter - und fast alle von uns haben Kredite für teure Schaustellergeschäfte zu bedienen.

Erst ab einer Inzidenz unter 50 dürfen Schausteller wieder loslegen

Ein Bild aus unbeschwerten Tagen: Festtreiben auf der "Annaberger Kät" mit Riesenrad. Die Branche rechnet erst im September mit einem nahezu normalen Geschäft.
Ein Bild aus unbeschwerten Tagen: Festtreiben auf der "Annaberger Kät" mit Riesenrad. Die Branche rechnet erst im September mit einem nahezu normalen Geschäft.  © André März

TAG24: Wie stopfen Schausteller diese Lücke?

Klaus Illgen: 40 Prozent der Kollegen haben sich vorübergehend Arbeit im Dienstleistungsbereich gesucht. Einer fährt zum Beispiel in Plauen als Kraftfahrer im Getränkehandel. Einer arbeitet als Elektriker in Zwickau, mehrere andere als Trockenbauer.

Manche haben ihre Lebensversicherung gekündigt, Überbrückungskredite bei der KfW aufgenommen oder mussten in Kurzarbeit gehen oder Hartz IV beantragen - so wie auch mein 45-jähriger Sohn Rico erstmals in seinem Leben. Derzeit machen zudem viele Autos, Karusselle, Schank-, Eis- und Zuckerwattewagen aus ihrem Bestand zu Geld.

TAG24: Was haben Sie persönlich unternommen?

Klaus Illgen: Ich habe meine Ersparnisse aus guten Zeiten mit mehreren 1000 Euro angezapft, um die Rente aufzustocken. Außerdem musste ich meinen Wohnwagen für über 10.000 Euro verkaufen, in dem ich ein Leben lang mit der Familie gewohnt habe und mein Sohn aufwuchs. Als der Wagen den Besitzer wechselte, konnte ich nicht dabei sein. Da waren zu viele Emotionen im Spiel.

TAG24: Wie könnte das Geschäft jetzt wieder Fahrt aufnehmen?

Klaus Illgen: Der diesjährige Chemnitzer Frühjahrsjahrmarkt, das Marienberger Marktfest, das Dresdner Frühlingsfest und die Kleinmesse in Leipzig fielen bereits aus. Jetzt sind auch die "Annaberger Kät" und am Freitag auch das "Plauener Vogelschießen", das größte Volksfest im Vogtland zu Pfingsten, abgesagt.

Wir hoffen jetzt, dass das Volksfest in Olbernhau ab 5. Juni und spätestens das Freiberger Bergstadtfest Ende Juli wieder stattfinden können. Erst ab einer Inzidenz unter 50 dürfen wir loslegen. Wir sitzen in den Startlöchern, können innerhalb von zehn Tagen an jedem Ort einsatzbereit sein - inklusive Aufbauzeit von drei bis vier Tagen.

Die meisten älteren Kollegen sind bereits geimpft, doch es gab auch schon zwei Todesfälle

Schausteller in der Corona-Krise: "Unser Beruf ist eine Berufung", sagt Verbandschef Klaus Illgen (74).
Schausteller in der Corona-Krise: "Unser Beruf ist eine Berufung", sagt Verbandschef Klaus Illgen (74).  © Uwe Meinhold

TAG24: Erwarten Festbesucher nach Corona Preiserhöhungen?

Klaus Illgen: Wir werden vorerst keine Preise erhöhen, um familienfreundlich zu bleiben.

TAG24: Rechnen Sie weiter damit, Hygienekonzepte einhalten zu müssen?

Klaus Illgen: Bestimmt, wir haben deshalb einen Test-Bus mit geschultem Personal von einem Döbelner Unternehmer angemietet und wollen ihn vom Gesundheitsamt offiziell genehmigen lassen - als mobiles Testzentrum vor den Festplätzen.

TAG24: Wie heftig wurden eigentlich Ihre Kollegen gesundheitlich vom Corona-Virus getroffen?

Klaus Illgen: Etwa 20 Prozent der Kollegen waren an Corona erkrankt. Zwei Kollegen sind am Virus verstorben, ein Mitglied unserer allein 50 Schaustellerfamilien im Verband Mittelsachsen erst vor 14 Tagen.

Er war Mitbetreiber eines Break-Dancer-Fahrgeschäfts. Inzwischen haben sich zumindest die meisten älteren Kollegen impfen lassen.

Titelfoto: Uwe Meinhold

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