Eheleute bangten um Volkskunst-Firma, doch dann geschah ein Weihnachtswunder

Chemnitz - Im Haus von Silvio Stibane (42) und seiner Frau Sandra (46) flossen in den vergangenen Tagen viele Tränen. Tränen der Angst und Verzweiflung, aber auch der Freude und des Glücks. Denn: In großer Not erleben sie gegenwärtig viel Solidarität, Herzlichkeit und Unterstützung.

Die Liebe zum Handwerk und zum Werkstoff Holz beflügelt die Kreativität von Sandra (46) und Silvio Stibane (42). Ein Hilferuf im Netz bescherte ihnen eine Flut von Bestellungen. Jetzt stapeln sich Pakete in ihrem Büro.
Die Liebe zum Handwerk und zum Werkstoff Holz beflügelt die Kreativität von Sandra (46) und Silvio Stibane (42). Ein Hilferuf im Netz bescherte ihnen eine Flut von Bestellungen. Jetzt stapeln sich Pakete in ihrem Büro.  © Uwe Meinhold

Silvio und Sandra Stibane (42) haben sich der Erzgebirgischen Volkskunst verschrieben. Ihr Fleiß sichert ihnen mit ihrer Firma EKM in Chemnitz den Lebensunterhalt. Die Vorweihnachtszeit gehört für sie zur schönsten, aber auch arbeitsreichsten Zeit des Jahres.

Dann verkaufen sie auf Weihnachtsmärkten die Waren, die sie übers Jahr gefertigt haben. Sandra Stibane: "Wir lieben es, auf den Märkten mit unseren Stammkunden ins Gespräch zu kommen. Da schöpfen wir Kraft und Inspiration, denn aus so manchem Kundenwunsch entstanden schon neue Produkte."

Die Ausbreitung des Coronavirus 2020 und die Absage des Markttreibens im Advent brachte ihren kleinen Familienbetrieb bedrohlich an den Rand des Ruins. Umso mehr Hoffnungen setzte der Betrieb in den Advent 2021. Die Zusage der Politik, dass Märkte stattfinden würden, stimmte sie zuversichtlich.

Chemnitz: Chemnitz: Galerie Weise eröffnet an neuem Standort
Chemnitz Kultur & Leute Chemnitz: Galerie Weise eröffnet an neuem Standort

Silvio Stibane: "Im Vertrauen auf diese Aussage haben wir Stände für die Weihnachtsmärkte in Chemnitz, Freiberg, Stollberg und Pulsnitz vorbereitet. Wir haben dafür Waren hergestellt, zugekauft und Lesegeräte für Geldkarten angeschafft."

Silvio Stibane beim Anfertigen eines Schwibbogens in seiner Werkstatt. Der studierte Maschinenbauer ist gern innovativ, wenn es um die Gestaltung und technische Umsetzung von Volkskunst geht.
Silvio Stibane beim Anfertigen eines Schwibbogens in seiner Werkstatt. Der studierte Maschinenbauer ist gern innovativ, wenn es um die Gestaltung und technische Umsetzung von Volkskunst geht.  © Uwe Meinhold

Weihnachtsmarkt-Absage traf Chemnitzer Familie hart

Der Chemnitzer Weihnachtsmarkt wurde abgesagt. Auch die Firma EKM von Sandra und Silvio Stibane wollte dort ihre Waren präsentieren und verkaufen.
Der Chemnitzer Weihnachtsmarkt wurde abgesagt. Auch die Firma EKM von Sandra und Silvio Stibane wollte dort ihre Waren präsentieren und verkaufen.  © Kristin Schmidt

Die kurzfristige Absage aller Märkte am Freitag vor Totensonntag zog dem Unternehmerpaar, das zwei kleine Kinder hat, den Boden unter den Füßen weg.

Die Familie hat sich über Jahre ein Häuschen am Stadtrand aufgebaut. Wovon sollen nun die Verpflichtungen für Haus und Firma bezahlt werden? Die schmalen Einkünfte aus dem eigenen Online-Shop würden das Wegfallen der Märkte niemals kompensieren können, waren sich beide einig.

Sandra Stibane stürzte in ein Tränen-Tal, während der Blutdruck ihres Mannes in die Höhe schoss. Als Familienvater und Unternehmer musste er etwas tun, sich Luft machen. Silvio Stibane packte seinen Frust in die Kommentarspalte eines Messenger-Chats.

Chemnitz: Dieses Kunstfestival kehrt nach Chemnitz zurück
Chemnitz Kultur & Leute Dieses Kunstfestival kehrt nach Chemnitz zurück

Er erzählte darin frei von der Leber weg, bat um Interesse, Online-Kundschaft und lockte mit Zugaben bei Bestellungen.

Er sagt: "Ich will keine Almosen oder Spenden. Ich möchte mit meinem Kunsthandwerk das Auskommen meiner Familie sichern. Teure Werbung im Internet kann ich mir nicht leisten."

Hilferuf geht viral, Bestellungs-Flut folgt

Sandra Stibane schöpft wieder Hoffnung. Der Verkauf über den Internet-Shop hat sich unverhofft rasant entwickelt.
Sandra Stibane schöpft wieder Hoffnung. Der Verkauf über den Internet-Shop hat sich unverhofft rasant entwickelt.  © Uwe Meinhold

Was danach passierte, hätte sich die Familie niemals träumen lassen. Ihr Hilferuf ging viral. Er wurde tausendfach gelesen und von Fremden weiter verbreitet, in Foren und auf diversen Social-Media-Kanälen. Binnen weniger Stunden und Tage gingen massenhaft Bestellungen online ein.

"Es ist unglaublich. Bis vor gut zwei Wochen lag der Rekord in unserem Internet-Shop bei 17 Bestellungen an einem Tag. Am zweiten Tag nach dem Post gingen bei uns sagenhafte 160 Bestellungen ein", sagt der Unternehmer. Seine Frau ergänzt: "Das war ein unbeschreibliches Glücksgefühl."

Herzliche, aufmunternde Grüße und Wünsche füllten ihr elektronisches Postfach. Wildfremde Menschen boten Hilfe an, wollten Stibanes Waren in ihrem Laden mit verkaufen und die Familie sogar als Urlaubsgäste beherbergen.

Sandra Stibane: "Das wärmt mir das Herz. Es schenkt mir Zuversicht, diese Solidarität zu spüren."

"Die Politik hat uns ins offene Messer laufen lassen"

Kleine LED-Leuchten lassen diesen modernen Lichterbogen und seine Figuren heimelig strahlen. Silvio Stibane interpretiert gern traditionelle Holzkunst aus dem Erzgebirge neu.
Kleine LED-Leuchten lassen diesen modernen Lichterbogen und seine Figuren heimelig strahlen. Silvio Stibane interpretiert gern traditionelle Holzkunst aus dem Erzgebirge neu.  © Uwe Meinhold

Die Bestellflut ist inzwischen abgeebbt. Das Abarbeiten aller Aufträge wird die Familie aber noch ein paar Tage beschäftigen.

Silvio Stibane: "Mit jedem Paket, das wir jetzt versenden, wird die Angst weniger. Gleichzeitig wächst die Hoffnung. Wir sind als Firma aus dem tiefen Tal heraus, aber noch nicht übern Berg, da es die Weihnachtsmärkte nicht ersetzt."

Der Ingenieur weiß, dass so mancher seiner Kollegen in der Branche von so einem "Weihnachtswunder" nur träumen kann.

Stibane nachdenklich: "Die Politik muss sich bei ihrem Handeln ihrer Verantwortung bewusst sein. Sie haben uns ins offene Messer laufen lassen. Nun muss schnellstmöglich über Entschädigungen entschieden werden."

Titelfoto: Uwe Meinhold

Mehr zum Thema Chemnitz Kultur & Leute: