Historischer DDR-Filmpalast: In diesem Kino sitzt man wie im alten "EUROPA 70"

Chemnitz - Im Weltecho können Besucher auf einem Stück Chemnitzer Filmgeschichte sitzen: Neuerdings stehen dort die Logensessel des ehemaligen Kinos "EUROPA 70".

Tim Rakutt (30) und Tim Schiller (38) sitzen auf hergerichteten Sesseln aus dem ehemaligen Europa-Kino.  © Maik Börner

"Man kommt rein, und es ist wirklicher Kinocharme da", freuen sich Tim Schiller (38, Programmleitung Kino) und Tim Rakutt (30, technischer Leiter "Das Ufer e. V.") über die roten Schalensessel.

Gerettet hat sie Ingo Scheller, der Geschäftsführer vom Verein "Das Ufer". "Der Gedanke dahinter ist: Das muss man erhalten! Es ist auch irgendwie ein Teil der Filmkultur in Chemnitz", erklärt Schiller.

"Und eine klassische Ost-Mentalität, wo es um ökonomisches Einlagern von Sachen geht, die vielleicht auch einen Wert haben", ergänzt Rakutt lachend.

Chemnitz Kultur & Leute Gegen Kultur- und Sozialkürzungen: Aktionsbündnis besetzt Chemnitzer Schauspielhaus

Bis 2022 warteten die Stühle im Lager. "Wir mussten sie da erst mal wieder rausschälen. Die waren zwar verpackt, hatten aber auf manchen Seiten krasse Sonnenschäden." Danach ging es für die Sitzmöbel zur Schönheitskur ins Don-Bosco-Haus.

"Das ist gar nicht so einfach mit diesen Pressschalensitzen. Der Stoff muss extrem dicht anliegen, sonst wirft er Falten. Und das sieht dann auch nicht mehr schön aus", erklärt Schiller.

Nicht alle Sessel wurden aufbereitet und neu bespannt. "Man sieht es auch noch, die unterscheiden sich teilweise farblich. Wir haben geguckt, dass es nicht so auffällt", so Rakutt. Schiller ergänzt: "Die Nostalgie liegt in den hinteren drei Reihen." Da sind nämlich noch die alten Polster drauf.

Neben den Sitzen aus dem "EUROPA 70" existiert noch das Neonleuchtschild. Die Kreativachse rettete die Reklame und hing sie an der Gießerstraße 5 auf.

Anzeige
Die alten Sessel wurden aufgearbeitet und teils neu gepolstert.  © Maik Börner

Lichtspielhaus mit langer Geschichte

Die historische Aufnahme zeigt das Europakino an der Hainstraße im Jahr 1990.  © imago/HärtelPRESS

Das heutige Wohnhaus in der Hainstraße 36 hat eine lange Geschichte hinter sich: Erbaut wurde das Gebäude Ende der 1880er-Jahre als Gesellschaftshaus mit Konzert-, Theater- und Ballsaal sowie Gaststätte und Biergarten.

1922 zog eine Baumwollspinnerei ein, bis 1930/31 das Kino "Gloria-Lichtspiele", später "Europa-Lichtspiele", eingebaut wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Kinobetrieb in Volkseigentum über. 1970 eröffnete das Lichtspielhaus nach Umbauten als "EUROPA 70" neu. Die "70" im Namen weist auf die damals moderne 70-mm-Projektionstechnik hin.

Chemnitz Kultur & Leute Gala in Chemnitz: Europäischer Kulturpreis für Ex-Fußballer Michael Ballack

Nach der Wende übernahm die Ufa das Kino und schloss es 1998. Acht Jahre später folgte der Abriss des Saalgebäudes.

2019 wurde der noch stehende, aber marode Gebäudeteil saniert.

Zurücklehnen und erinnern

Kommentar von Amélie Fromm

Sie sind bequem, jedoch nicht perfekt. Farblich unterschiedlich, mit unter etwas fleckig. Doch das macht den Reiz der "neuen" Kinosessel im Weltecho aus. Jeder der Sitze, die einst im Europakino auf der Hainstraße standen, erzählt seine eigene Geschichte.

Ein bisschen Patina, ein paar Falten im Stoff? Das macht sie erst richtig schön. Denn die Sessel erzählen von echten Momenten und von Vergangenheit. Lässt man sich jetzt wieder für eine Filmvorstellung in den Sitz fallen, kommen Erinnerungen hoch: das akribisch studierte Programmheft, die Aufregung vor dem Film und die Küsse im Dunkeln.

Die Sitze machen Kinoerlebnis nicht nur zu etwas Besonderem, sondern sind für die Betreiber zusätzlich eine nachhaltige und günstige Möglichkeit, für mehr Komfort zu sorgen. Eine charmante Einrichtungsidee in Zeiten, in denen Dinge schnell entsorgt werden.

Welche historischen Schätze wurden noch aus dem ehemaligen Europakino gerettet? Die Neonleuchtreklame, die an der Hainstraße hing, strahlt bereits wieder in der Gießerstraße.

Und vielleicht versteckt sich für die Zukunft noch mehr Kino-Vergangenheit im Lager.

Mehr zum Thema Chemnitz Kultur & Leute: