Queere Szene: "Wir führen ein Schattendasein in Chemnitz"

Chemnitz - Einmal im Jahr wird beim Christopher Street Day (CSD) sexuelle Vielfalt in Chemnitz sichtbar, wenn die queere Szene für ihre Rechte demonstriert. Im August werden zum 10. Mal Menschen auf die Straße gehen, um für die Rechte von Homosexuellen, Transgender und Co. zu demonstrieren.

Großer Andrang beim Christopher Street Day 2021.
Großer Andrang beim Christopher Street Day 2021.  © Uwe Meinhold

"Die restlichen 364 Tage ist es für die meisten von uns ein Schattendasein, das wir in Chemnitz führen", sagt CSD-Vorstandsmitglied Cedric Nastelski (21). Er möchte daran etwas ändern. Früher hätte er sich nie vorstellen können, als Erwachsener noch hier zu leben.

Anders als in Dresden und Leipzig existiere die homosexuelle Szene in Chemnitz fast ausschließlich im Internet. Erst über das Netz fand er seinen Anker in der Stadt: das Team des CSD, mit dem er für ein lebenswerteres Leben für Menschen mit abweichender sexueller Orientierung kämpft.

Zu diesem Zweck geht der CSD am 27. August wieder auf die Straße - gemeinsam mit erwarteten 1500 Besuchern und Demonstranten. Im Anschluss geht es zum Schlossteich-Areal, wo Kundgebungen stattfinden und bei Musik und Kunst eine bunte Kultur gefeiert wird.

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Und es werden Forderungen gestellt. Eine davon: Der Artikel 3 des Grundgesetzes soll geändert werden. Dieser besagt, dass Menschen etwa nicht wegen ihres Glaubens und ihrer Herkunft diskriminiert werden dürfen. Das müsse auch für die sexuelle Identität gelten, so Nastelski.

In der Partnerstadt Düsseldorf hielt Cedric Nastelski (21) die Chemnitzer Fahne hoch.
In der Partnerstadt Düsseldorf hielt Cedric Nastelski (21) die Chemnitzer Fahne hoch.  © privat

Keine Szenebars oder -clubs in Chemnitz

Für eine bunte Gesellschaft steht der CSD auch in Chemnitz.
Für eine bunte Gesellschaft steht der CSD auch in Chemnitz.  © Uwe Meinhold

Beim CSD wird Flagge gezeigt: Cedric Nastelski selbst geht prinzipiell offen und selbstbewusst mit seiner Sexualität um, scheut sich nicht, mit seinem Partner händchenhaltend durch die Stadt zu laufen.

"Bei den allermeisten Homosexuellen ist das in Chemnitz nicht der Fall. Allein schon aus der Angst, was ein Arbeitgeber denken könnte." Szenebars oder -clubs gebe es nicht und somit auch keinen geschützten Raum für Homosexuelle. Diskriminierungen und Anfeindungen hingegen erfahren Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft zur Genüge.

Dennoch findet in Chemnitz in diesem Jahr das ganz große Szenetreffen statt. Einmal im Jahr tagen die CSD-Gruppen von Deutschland zusammen. 2022 heißt der Austragungsort Chemnitz.

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"Es ist nicht der Ort der freien Entfaltung", bilanziert Nastelski am Ende des Gesprächs. Aber vielleicht kann er das noch werden.

Lieben - egal wen

Kommentar von Bernd Rippert

Bald steht der Christopher Street Day in Chemnitz an, der Kampf- und Feiertag der regenbogenbunten Vielfalt sexueller Orientierungen. Für mich ist es ein Rätsel, warum ein solcher Tag noch nötig ist.

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist Homosexualität keine Straftat mehr. Nach repräsentativen Umfragen zählen sich 7,4 Prozent der deutschen Bevölkerung zu Schwulen, Lesben, Bi- oder Transsexuellen. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl wären das 18.200 in Chemnitz.

Ja und? Nehmen mir homosexuelle Menschen etwas weg? Nein. Stört es mich, wenn Homosexuelle Hand in Hand durch die Stadt gehen? Nein. Ich zitiere den ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der in den 50er-Jahren auf das Gerücht, sein Außenminister könnte schwul sein, trocken entgegnete: "Bei mir hat er es noch nicht probiert."

Leider sind Christopher Street Days noch immer nötig. Nach wie vor werden Homosexuelle verächtlich gemacht, angegriffen, als Menschen zweiter Klasse abgestempelt. Sie genießen nicht den Schutz vor Diskriminierung im Grundgesetz.

Schluss mit dieser Teilung der Gesellschaft! Ich finde es gut, wenn Menschen lieben. Egal wen.

Titelfoto: Uwe Meinhold , privat

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