Trotz Gas-Krise: Chemnitzer Energieversorger will bis 2023 das Kohle-Aus
Chemnitz - Trotz Gas-Krise: Der städtische Energieversorger "eins" plant weiter einen Ausstieg aus der Kohle bis 2023. Stattdessen setzt das Unternehmen aus Chemnitz auf die rare Ressource: "Am Bau und der Inbetriebnahme unserer Gasmotorenkraftwerke halten wir fest", erklärt eins-Sprecherin Astrid Eberius (52).

Die Drosselung der russischen Gaslieferung, die damit erwartete Preisexplosion und die nur halb gefüllten Speicher stellen die deutsche Wirtschaft vor enorme Herausforderungen. Ersatz soll durch Braun- und Steinkohle geschaffen werden, die entsprechenden Kraftwerke länger am Netz bleiben.
Dennoch will der Versorger "eins" genau das Gegenteil tun. Wie das Unternehmen mitteilte, sollen die neuen Motorenheizkraftwerke noch 2022 ans Netz gehen. Das Kohlekraftwerk hat damit 2023 ausgedient. Aber Gas ist nicht gleich Gas: Die Motoren am Standort Nord (Altchemnitz) können neben dem knappen Erdgas auch Biogas und sogar synthetisches Gas verbrennen.
Die Effizienzprognose des Unternehmens stützt sich derzeit jedoch auf das Erdgas: So wird davon ausgegangen, dass das neue Kraftwerk eine Leistung von insgesamt 100 Megawatt erreicht und ein Viertel des Chemnitzer Fernwärmemarktes versorgen kann.
Außerdem prüft das Unternehmen weiterhin den Bau einer Abfallverwertungsanlage sowie eines Holz-Hackschnitzel-Kraftwerkes - beide Projekte sind umstritten. Eins-Sprecherin Eberius: "Beide Projekte würden unsere Unabhängigkeit vom Medium Gas deutlich stärken."


Der Chemnitzer Energie-Mix

Braunkohle und Erdgas sind in Chemnitz die wichtigsten Energie- und Wärmelieferanten. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben von "eins energie" mit den beiden Ressourcen 711,9 Gigawattstunden (GWh) Strom und 1079,9 GWh Wärme erzeugt.
Es gibt weitere energetische Standbeine, die bisher jedoch nur einen Bruchteil der Leistung bringen. So hat das Unternehmen mit den eigenen Wind- und Solaranlagen 2021 insgesamt 35,2 GWh Strom erzeugt. Die Nahwärmeanlagen lieferten 92,7 GWh Wärme.
Auch Kälte wurde gewonnen, und zwar direkt aus der Umwelt. Hier wanderten im vergangenen Jahr 13,9 GWh in die Chemnitzer Klimaanlagen.
Wunsch und Wirklichkeit

Kommentar von Mario Adolphsen
Putin drosselt die Gas-Exporte nach Deutschland - wer noch glaubt, das wäre ein eher abstraktes Problem, sollte erst auf seine Steckdose und dann zum bunten Schornstein blicken. Dann wird die bevorstehende Krise plötzlich sehr konkret.
Moderner, flexibler, umweltschonender - die neuen Gasmotoren im Heizkraftwerk Nord sollen noch dieses Jahr in Betrieb gehen. Trotz allem hält eins weiter an diesem Vorhaben fest. Die beiden entscheidenden Fragen: Zu welchem Preis wäre das in diesem Winter überhaupt möglich? Und kann der regionale Versorger das am Ende noch selbst entscheiden?
Wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (52, Grüne) in den nächsten Tagen die zweite von drei Stufen des "Notfallplans Gas" aktiviert, dürfte das einen spürbaren Preissprung zur Folge haben. Erst am Gasmarkt, später ganz konkret beim Preis pro Kilowattstunde Strom. Erdgas für Energie und Wärme zu verbrennen, würde zum teuren Unterfangen.
Sollte im Herbst oder Winter trotz des hohen Preises zu wenig Gas-Angebot vorhanden sein, um die Nachfrage zu decken, muss die Bundesregierung die dritte Notfallstufe in Kraft setzen. Dann entscheidet nicht mehr der Markt, sondern zentral die Politik, wer noch Gas erhält und wer nicht.
Das hätte wirtschaftliche, aber auch soziale Verwerfungen zur Folge, deren Dimension wir noch nicht abschätzen können. Und der Osten wäre besonders betroffen, denn hier ist die Abhängigkeit von Russland-Importen aus historischen Gründen am größten.
Angesichts dieser Perspektive dürfte es schwer vermittelbar sein, dass eine Großstadt wie Chemnitz Teile seiner Energieversorgung umstellt, während zeitgleich ganzen Wirtschaftszweigen das Gas abgedreht werden müsste. Noch ist das nur ein Worst-Case-Szenario. Allerdings eines, mit dem sich Chemnitz bereits jetzt auseinandersetzen sollte.
Titelfoto: Uwe Meinhold, eins energie