Dresden - Es ist früher Morgen. Also so richtig früh. Während andere noch im Club den letzten Drink exen oder mit einer halben Pizza im Gesicht einschlafen, stehe ich, der TAG24-Reporter, 3.30 Uhr am DVB-Betriebshof in Trachenberge. Bereit, Straßenbahnfahrer zu werden. Ich bin nervös wie beim ersten Date. Der Unterschied: Mein Gegenüber wiegt satte 30 Tonnen, schnurrt mit Strom statt Smalltalk – und wenn es schiefgeht, fliegt nicht nur das Herz aus der Bahn ...
Oliver Hache (44) ist mein Fahrlehrer, zeigt mir eine Tafel mit Bahn-Nummern, um zu sehen, wo "meine" Fahrschulbahn (natürlich ohne Fahrgäste) steht.
Dann geht’s raus zu meinem rollenden Ungetüm. Vor dem Ausrücken steht erst mal der "Komponententest" an.
Die Türen machen dabei dreimal "auf und zu", als wollten sie sagen: "Sicher, dass du das kannst?" Plötzlich piept es. "Fehler?!"– "Liegt nicht am Fahrzeug – liegt am Fahrer", sagt Oliver trocken.
Ich hätte schlicht einen Knopf drücken müssen. Super Einstieg. Dann kommt der Check am Fahrzeug selbst: Sandbehälter kontrollieren (wichtig bei glatten Schienen!), Rollstuhlrampe testen, Entwerter prüfen, Bahn auf Beschädigungen absuchen.
Mit gesunder Vorsicht durch Dresdens Straßen
Danach wird’s ernst: Ich sitze am Steuerpult. Oliver erklärt: "Der Sollwertgeber ist dein Totmannschalter, der muss gedreht bleiben, sonst bremst die Bahn."
Hebel vor heißt Gas, Hebel nach hinten bremsen. Und schnell nach ganz hinten heißt Vollbremsung aka Schleudersitz für Anfänger.
Dann geht es langsam los, erst mal vom Betriebsgelände runter auf die Straßen Dresdens. Mit 20 km/h krieche ich durch die Stadt. Im Auto würde ich bei dem Tempo aussteigen und schieben. Aber hier fühlt es sich an wie Lichtgeschwindigkeit.
Mein Puls sagt: "Ist das noch Nahverkehr oder schon Fast & Furious: Gleisedition?" Oliver meint trocken: "Du kannst ruhig ein wenig schneller fahren."
Ich drücke zaghaft den Hebel – 50 km/h, die sich anfühlen wie 150! Noch zwei Sekunden länger und ich hätte mich selbst geblitzt.
Nach dem Probetag wächst der Respekt vor den Bahnfahrern noch weiter
Oliver blinkt und stellt die Weichen – ich sitze da wie der Praktikant im Cockpit und tu so, als hätte ich den Laden im Griff. Mein Puls? Höher als die Preise auf dem Striezelmarkt.
Jede Kurve fühlt sich an wie eine Porzellanlieferung in einem Erdbeben. Zwischendrin üben wir noch mal, wie man denn eine Weiche richtig per Hand stellt. "Dafür braucht es ein wenig Kraft", merke ich direkt.
Am Ende schaffe ich es mit dem riesigen Koloss heil durch die Stadt. Keine Kratzer. Kein Crash. Alles im grünen Bereich.
Olivers Fazit nach meiner ersten Fahrt? "Das passt schon. Sehr vorsichtig, aber auf jeden Fall gefühlvoll." Ich nicke. Äußerlich cool wie ein Eiswürfel – innerlich fertig wie ein Schüler nach der Mathe-Abi-Klausur.
Aber auch: stolz und voller Respekt vor denen, die das jeden Tag machen.