Uraufführung "Requiem A" von Sven Helbig in der Kreuzkirche: Atem statt Amen

Dresden - Der 80. Jahrestag der Bombardierung Dresdens, er verlangt nach etwas Besonderem, etwa einem neuen Musikstück. Während Staatskapelle und Philharmonie in ihren angestammten Gedenkkonzerten Bewährtes aufführen, die Requien von Verdi und Britten, wählte der Kreuzchor die Uraufführung.

Intensiv: Kreuzkantor Martin Lehmann (51) und Sänger René Pape (60) mit dem Kreuzchor.
Intensiv: Kreuzkantor Martin Lehmann (51) und Sänger René Pape (60) mit dem Kreuzchor.  © Dresdner Kreuzchor/ Oliver Killig

Der Dresdner Komponist Sven Helbig (57) bot dem Chor sein neues Werk "Requiem A" an, Kreuzkantor Martin Lehmann (51) griff zu, auch die Staatskapelle schaltete sich ein. So kam es zur Zusammenarbeit der Institutionen. Zum ersten Mal seit 2012 (Requiem von Lera Auerbach als Auftragskomposition) ist somit die Staatskapelle wieder an der Uraufführung eines Requiems anlässlich des Dresdner Gedenktages beteiligt.

Solist war der Dresdner Bass René Pape (60). Der Komponist selbst spielte die elektronischen Instrumente. Uraufführung war am Sonntag in der Kreuzkirche, es folgen Aufführungen in Coventry und Wien. Aufgenommen wurde die Uraufführung von der Deutschen Grammophon - die erste Zusammenarbeit Helbigs mit dem berühmten Klassiklabel seit "Pocket Symphonies" im Jahr 2013.

Eine überdimensionale Installation des Buchstaben "A" aus weißem Stoff überragt den Altarraum, Projektionsfläche für Video-Impressionen von Máni Sigfússon, die der Musik sinnfällig bewegtes Bild hinzufügen. Das "A" steht für Anfang, Aufbruch und, vor allem, Atem. Der Titel ist eine Idee der 14-jährigen Tochter des Komponisten, Ida, wie im Programmheft erläutert.

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Atem statt Amen. Helbigs "Requiem A" nutzt die klassische Liturgie und verschränkt sie mit selbst verfasster weltlicher Poesie. Musik und Text sind nicht Bekenntnis zum Religiösen, wollen aber Ehrfurcht vor dem Phänomen des christlichen Glaubens ausdrücken, wie Helbig im TAG24-Interview erläuterte. Die Kreuzkirche als Uraufführungsort ist nicht zufällig gewählt.

"Requiem A" in Dresden: Solist René Pape gibt melancholische Arien

Sven Helbigs "Requiem A" wird vom Sender ARTE am 13. Februar online und am 8. Mai im linearen Fernsehen übertragen.
Sven Helbigs "Requiem A" wird vom Sender ARTE am 13. Februar online und am 8. Mai im linearen Fernsehen übertragen.  © Dresdner Kreuzchor/ Oliver Killig

Das Requiem, eine Totenmesse. Helbig orientiert sich an der klassischen Form, seine Komposition ist neunteilig, darunter Introitus, Sanctus, Agnus Dei. "Aus der Tiefe" heißt der siebte Abschnitt, in dem der Komponist an den Electronics bedrohliche dumpfe Rhythmen intoniert, die wie Bombenschläge tönen, bevor das Orchester übernimmt.

Aus der Tiefe kommt vieles in diesem Werk, das in Teilen düster und beklemmend wirkt. Der Kreuzchor singt, flüstert oder agiert im Sprechgesang, Solist René Pape gibt bewegend zwei melancholische Arien ("Meer von Tränen", "An die Weide"), die Helbig ihm auf den Leib geschrieben hat.

"Auf den Gipfeln unsrer Hoffnung thront ein Licht/Heißes Herz, zages Bangen, hoch hinauf sind wir gegangen/An den Händen Blut und Asche im Gesicht", so heißt es in Abschnitt fünf, "Sanctus", dazu steigern sich Stimmen, Trompeten und Schlagwerk in ein erschütterndes Crescendo. "Frei!", ruft der Chor und nochmals: "Frei!".

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Liturgischer Text und freie Lyrik, sie ergänzen sich und sind sich gegenüber. Helbigs Werk ist keines der Eindeutigkeit, vielmehr der Ambivalenz, des Widerstreits. Erlösung kennt es nicht, auch nicht die ungebrochene Schönheit, wohl aber die Hoffnung auf das Leben, aufgelöst im letzten Abschnitt "Atem" mit dem letzten Wort des "Requiems A" - Atem. Der Atem ist am Anfang - des Lebens, der Musik. Die Partitur beginnt und endet mit dem Ton A.

Man wünscht diesem erstaunlichen, aufwühlenden Werk viele weitere Aufführungen - auch in Dresden.

Titelfoto: Dresdner Kreuzchor/ Oliver Killig

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