"Natürlich haben wir Tabus!": Interview mit der Direktorin der Ostrale

Dresden - Die documenta in Kassel ist die weltweit größte Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Die Ostrale Biennale in Dresden, die am 10. Juni beginnt, ist in Artverwandtheit wie eine documenta im Kleinen.

Andrea Hilger am Freitag in der entstehenden Ausstellung.
Andrea Hilger am Freitag in der entstehenden Ausstellung.  © Christian Juppe

Vergangenes Jahr in Kassel stand die dortige Schau im Schatten eines Skandals um Antisemitismus. Wir sprachen mit Ostrale-Direktorin Andrea Hilger darüber, was für die Ausstellung aus dem documenta-Skandal folgt.

TAG24: Frau Hilger, die documenta machte 2022 Schlagzeilen mit einem Antisemitismus-Skandal, ausgelöst von der indonesischen Künstlergruppe "Taring Padi". Die Folgen waren verheerend, das Image kaputt, kaum jemand sprach noch über die übrige Kunst. Kann der Ostrale so etwas auch passieren?

Andrea Hilger: Die Freiheit der Kunst ist ein sehr hohes Gut, das unbedingt verteidigt werden muss. Kunst kann und darf provozieren - in alle Richtungen. Zuweilen lebt sie von der Provokation.

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Im besten Fall löst sie Debatten aus mit dem Ziel: Erkenntnisgewinn. Dies birgt meines Erachtens immer das Risiko einer unzulässigen Grenzüberschreitung.

Zum 15-jährigen Bestehen der Ostrale gibt es ein Best-of der letzten Jahre

Antka Hofmann, Künstlerin und Co-Chefin der Ostrale, beim Aufbauen der Ausstellung.
Antka Hofmann, Künstlerin und Co-Chefin der Ostrale, beim Aufbauen der Ausstellung.  © Christian Juppe

TAG24: Was tun Sie, um Entgleisungen wie in Kassel zu verhindern?

Hilger: Wir haben das Kuratieren dieses Jahr selbst in der Hand behalten, die Künstlerinnen und Künstler sowie die Künstlergruppen und ihre Werke also selbst ausgewählt. Dass während des Auswahlprozesses die Diskussion um die documenta so groß wurde, hat uns natürlich auch sensibilisiert.

TAG24: Künstlerinnen, Künstler, Kunst-Kollektive aus aller Welt bewerben sich bei der Ostrale, um ihre Werke zu zeigen. Wer trifft konkret die Auswahl?

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Hilger: In diesem Jahr wurde die Biennale ausschließlich vom Ostrale-Kernteam kuratiert. Das bestand aus der Künstlerin und 2. Vorsitzenden der Ostrale, Antka Hofmann, der Kunsthistorikerin und langjährigen Mitarbeiterin Lisa Uhlig und mir.

Dabei haben wir anlässlich des 15-jährigen Bestehens der Ostrale mehr als die Hälfte der Werke aus einem Teilnehmer-Best-of der letzten Jahre ausgewählt und nur einen Teil aus dem Open Call der eingegangenen Bewerbungen.

Wir freuen uns wirklich sehr, dass so viele Künstlerinnen, Künstler und Künstlergruppen der letzten Ostralen und Ostrale-Biennalen unserer Einladung gefolgt sind und mit neuen spannenden Werken dabei sind.

Ostrale 2023 widmet sich acht besonderen Themenbereichen

Ein Banner der diesjährigen Ostrale Biennale hängt an der ehemaligen Robotron-Kantine.
Ein Banner der diesjährigen Ostrale Biennale hängt an der ehemaligen Robotron-Kantine.  © Robert Michael/dpa

TAG24: Welche Rolle spielt dabei Political Correctness, gibt es künstlerische Tabus?

Hilger: Natürlich haben wir Tabus! Die Ostrale steht seit jeher unter anderem für Gleichheit aller Menschen, friedliches Miteinander, Akzeptanz des Fremden bzw. Unbekannten, respektvollen Umgang, religiöse, sexuelle und kulturelle Vielfalt, Internationalität sowie den Aufruf zu Nachhaltigkeit, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft.

Dies spiegelt sich inhaltlich auch in unseren Ausstellungen wider. Und natürlich greifen wir aktuelle gesellschaftskritische wie auch politische Themen auf, die mehr Aufmerksamkeit erfahren sollen. Die Kunst, die auf der Ostrale gezeigt wird, ist zeitgenössisch, kommt also immer aus dem Hier und Jetzt. Damit ist sie auch automatisch politisch.

TAG24: Hat die Ostrale schon Werke aus politischen Gründen abgelehnt, und wenn ja, warum?

Hilger: Selbstverständlich gibt es Künstler und Werke, die wir nicht ausstellen würden, da wir das inhaltlich nicht vertreten könnten. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass ich hier keine Namen nenne oder Werke beschreibe, die wir abgelehnt haben.

TAG24: Um welche Themen kreist die Ausstellung dieses Jahr?

Hilger: Wir haben in diesem Jahr acht Themenbereiche: Andersräume, Überfluss und Mangel, Vereinzelung, Rückzug, Identität, körperliche, geistige und soziale Gesundheit, Bildung sowie Gewalt durch Mensch und Natur - dies alles mit einer Sicht auf die Zukunft, die nicht nur pessimistisch ist.

Titelfoto: Christian Juppe

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