Dresden - Der gläserne Mensch ist das dystopische Schreckensbild einer total überwachten Gesellschaft. Da hat die Person keinerlei privaten Geheimnisse mehr, die Person ist quasi durchsichtig. Ganz anders, nämlich positiv, ist die Gedankenverbindung, wenn es um die Gläsernen Menschen im Hygiene-Museum geht. Dort ist die historische Gläserne Frau ab sofort wieder in der Dauerausstellung.
Die Gläsernen Menschen des Hygiene-Museums waren in den 30er-Jahren eine wissenschaftlich fundierte Ausstellungssensation.
"Mit einem Mal war es möglich, die Menschen von Innen anzuschauen", sagt Museumsdirektorin Iris Edenheiser. MRT, CT, Sonographie und andere Körperdurchleuchtungstechniken lagen damals noch weit in der Zukunft.
Celluloseacetat ist der Kunststoff, aus dem damals die Gläsernen Figuren entstanden. Ein Material, das sich nicht als beständig erwies.
Die Außenhaut vergilbte mit der Zeit, Bemalungen innerer Organe verflüssigten, Essigsäure wurde freigesetzt, die Organe schrumpften. Besonders die historische Figur der Gläsernen Frau von 1935/36 hatte darunter zu leiden. Ihr besonders galt das Forschungsprojekt, welches das Museum mit Partnerinstitutionen in den Jahren 2016 bis 2022 durchführte.
Eine klimatisierte, temperierte Vitrine in 200 Kilogramm schwerer Doppelverglasung ist das Forschungsresultat. Darin, bei einer Temperatur von 15 bis 18 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 30 bis 35 Prozent, soll der Verfallsprozess, wenn nicht aufgehalten, so doch verlangsamt werden.
Gläserne Frau feiert 35. Geburtstag in Dresden
Die erste durchsichtige Figur dieser Art wurde der Öffentlichkeit 1930 zur Einweihung des neuen Museumsgebäudes vorgestellt. Jener "Gläserne Mann" überlebte den Bombenangriff 1945 nicht.
Die historische Gläserne Frau entstand 1935/36 als Auftragsarbeit für einen US-Textilfabrikanten, in den 80er-Jahren kam sie nach Deutschland zurück, Berlin und dann Dresden.
Jahrzehntelang waren die gläsernen Körper ein Dresdner Exportschlager in alle Welt. Mehr als 130 Exemplare entstanden, bis die Produktion 2000 eingestellt wurde; die kulturhistorische Bedeutung der Figuren überlagerte mittlerweile die wissenschaftliche, die Nachfrage ließ nach.
Das Hygiene-Museum führt noch 12 Exemplare im Bestand, sieben davon, darunter die Gläserne Kuh, sind untergebracht in einer ebenfalls neuen Klimazelle im Depot, wo ihre materiale Lebensdauer bis ins Vierfache verlängert werden könnten, so Julia Bienholz-Radtke, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums.
Im Ausstellungsraum, schräg gegenüber besagter Vitrine, steht eine weitere der Gläsernen Frauen. Anders als ihre historische Schwester besteht sie aus Celluloseacetatbutyrat, einem bestandsfreundlicheren Kunststoff. So darf sie frei auf einer Drehscheibe ihre Pirouetten vollführen.