Dresden - Sabine Ebert (65) und Marit Kunis (50) haben Herzen in Buchform. Die Dresdner Bestsellerautorin und die Leiterin der Städtischen Bibliotheken verbindet die Leidenschaft für Sprache und Literatur. Anlässlich der Auszeichnung der Dresdner Bibo als "Bibliothek des Jahres 2025" lud TAG24 beide Frauen zu einem Gespräch ein über Leselust und -frust sowie die Zukunft der Büchertempel in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte und einer immer digitaler werdenden Welt.
Interview mit Ebert und Kunis
TAG24: Frau Ebert, die Bibliothek war für Sie als Kind ein Zufluchtsort.
Sabine Ebert: Oh ja. Ich habe als Kind pro Woche drei Bücher gelesen. Als ich mit der Kinderabteilung der Bibliothek durch war, habe ich mir die Werke von Jules Verne, Alexandre Dumas, James F. Cooper oder Alexander Wolkow gegriffen und verschlungen. Die Bibo war mein Wunderland. Heute lese ich immer noch sehr viel, aber ich kaufe mir die Bücher. Es ist dabei geblieben: Beim Lesen geht meine Fantasie auf Reisen.
TAG24: Frau Kunis, die Bibliothek im Dresdner Kulturpalast bietet heute über 300.000 Medien zur Ausleihe an. Neben Zeitschriften und Büchern auch Filme, Hörbücher, PC-Spiele, Werk- und Spielzeug, Haushalts- und Aufnahmegeräte, Musikinstrumente sowie Lastenräder. Genügt es als Bibliothek nicht mehr, nur Lesestoff bereitzuhalten?
Marit Kunis: Bücher eröffnen neue Welten. Sie verführen dazu, Neues auszuprobieren - etwa beim Kochen, Spielen oder der Handarbeit. Wer bei uns von einem Buch inspiriert wurde, kann sich dazu hier die Dinge ausleihen, die er braucht, um selbst kreativ zu werden. Das Lastenrad steht bereit, um alle diese geliehenen Sachen heimzubringen. Unsere Angebote nutzen Menschen aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten. Über die Vielfalt erreichen wir Leute, die sonst wohl nie einen Fuß in eine Bibliothek gesetzt hätten.
Wo kommt die Zukunftsangst her?
TAG24: Moderne Bibliotheken sind heute helle, einladende Orte ...
Ebert: Ja! Ich hoffe, das bleibt so. Im Rahmen meiner Lesetouren habe ich tolle Bibliotheken kennengelernt. Zum Beispiel im Schloss von Glauchau, in einer alten Spinnerei in Flöha oder einer Kirche in Pößneck. Bibliotheken sind wunderbare Orte, die jedem kostenlos offenstehen für freundliche Begegnungen und friedlichen Austausch.
Kunis: Bibliotheken besitzen heute bestenfalls den Charme eines zweiten Wohnzimmers, wo sich die Einwohner einer Stadt oder eines kleinen Ortes gern treffen. Hausaufgaben erledigen, Prüfungen vorbereiten, recherchieren, PC-Spiele testen, Filme schauen, programmieren oder nähen lernen, Autoren treffen - das ist nur ein Bruchteil dessen, was man heute bei uns hier alles machen kann und auch tut. Die Verknüpfung zum Buch und zum Lesen gelingt so auf ganz natürliche Weise. Schauen Sie: Kinder greifen hier selbstständig zum Buch, schmökern neugierig durch die Regale.
Lesefähigkeit bei vielen Schülern nicht gut genug?
TAG24: Warum ist ihnen beiden trotzdem bange um die Zukunft der Bibliotheken in Sachsen?
Kunis: Noch nie war die Gefahr der Unterfinanzierung der Bibliotheken so groß wie jetzt. Bibliotheken sind keine Pflichtaufgaben für Kommunen. Sie sind Teil der Kultur und werden doch kaum so wahr genommen. Tatsächlich sind Bibliotheken aber die meistbesuchten Orte der Kultur. Bibliotheken brauchen beständig Mittel, um zum Beispiel Medienankäufe tätigen zu können. Die Nutzer kommen nicht nur wegen des Raumes. Sie wollen die neuesten Buchtitel, den aktuellsten Reiseführer. Sind diese nicht da, sinkt rasch das Interesse der Nutzer.
Ebert: Ich finde es ganz schlimm, dass man Bibliotheken Mittel kürzt. Vielleicht ist für die kommunalen Entscheidungsträger das Argument hilfreich, dass die Beherrschung der Schrift ein Gradmesser für Zivilisation ist. Wenn wir das verlernen, kommen wir zurück in die Steinzeit. Bei vielen Schülern muss heute die Lesefähigkeit verbessert werden, wenn daraus einmal Facharbeiter werden sollen.
Wie weckt man das Interesse der Kinder, zu lesen?
Kunis: Dass die Lesekompetenz bei Kindern und Jugendlichen zurückgeht, spüren wir tagtäglich bei unserer Arbeit. Es wächst eine Generation heran, deren Eltern kaum noch vorlesen.
TAG24: Wie weckt man bei den Jüngsten das Interesse an Büchern?
Kunis: Wir holen die Kinder ab in Kindergärten und Grundschulen. Wir lesen dort vor oder bringen ihnen hier in der Bibliothek spielerisch die Welt der Bücher nahe.
Ebert: Vorlesen ist ein hervorragender Einstieg! Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. Wir dürfen uns niemals damit abfinden, dass Texte nicht gelesen werden, nur weil sie mehr als 160 Zeichen beinhalten.
Bestseller-Autorin mag's historisch
Sabine Ebert ist Sachsens ungekrönte Bestseller-Königin. 2006 feierte sie ihr Romandebüt.
"Das Geheimnis der Hebamme" bildete den Auftakt einer Saga über die ersten Silberfunde im Erzgebirge zur Barbarossas Zeiten und den Beginn einer famosen Karriere.
Alle historischen Romane der Autorin standen wochenlang auf den Spiegel-Bestsellerlisten. Gespannt erwarten Sabine Eberts Fans zurzeit das Erscheinen des zweiten Teils der Silberbaum-Trilogie über Heinrich III. von Meißen.
"Der Silberbaum. Das Ende der Welt" kommt am 3. November in den Handel.
Bibliothekarin geht neue Wege
Die Germanistin Marit Kunis leitet seit 2023 die Städtischen Bibliotheken Dresden, die auf insgesamt 20 Standorte verteilt sind.
Der Deutsche Bibliotheksverband würdigt mit der Auszeichnung "Bibliothek des Jahres" die herausragende Arbeit der Dresdner Bibliothekare auf den Gebieten Bildung, Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt.
In der Jurybegründung heißt es: "Sie machen Wissen, Bildung und kulturelle Teilhabe für alle zugänglich – dezentral, niedrigschwellig und stadtteilnah."