Nico und der Kampf gegen die Angst: Wenn der Weihnachtsmarkt-Besuch zur Herausforderung wird

Dresden - Was für manche Alltag ist, kann für andere ein echter Kampf sein. Selbst ein Besuch auf dem Striezelmarkt wird dann zur Belastungsprobe. Content Creator Nico B. (31) spricht mit TAG24-Redakteurin Isabel Klemt (26), darüber, wie sich sein Alltag mit einer Angststörung gestaltet und welchen Herausforderungen er sich dabei täglich stellen muss.

Nico B. (31) möchte mehr Sichtbarkeit und Verständnis für psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit schaffen.
Nico B. (31) möchte mehr Sichtbarkeit und Verständnis für psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit schaffen.  © Eric Münch

Nico erzählt mir, dass es für ihn zu Beginn des Jahres schon ein Kraftakt war, überhaupt seine eigene Wohnung zu verlassen. "Ich konnte nicht mal mehr vor die Haustür gehen, ohne sofort in Panik zu geraten", sagt Nico.

Was zunächst als Angst in der Straßenbahn begann, weitete sich nach und nach auf Einkäufe, Treffen mit Freunden und schließlich sogar auf seine Arbeit aus. "Je mehr Menschen und je mehr Gewusel, desto anstrengender", erklärt er.

Seine Ängste lassen sich dabei grob in zwei Bereiche einteilen: die Sorge vor medizinischen Notfällen und die Angst, sich vor anderen Menschen zu blamieren.

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Die Vielfalt der Symptome macht dabei jeden Tag zu einer kleinen Herausforderung. "Mal äußert sich die Angst als Schwindel und Konzentrationsprobleme, an anderen Tagen als Herzrasen oder als Sorge, nicht rechtzeitig ein WC zu finden", so Nico.

Nico hat sich in den Alltag zurückgekämpft

Im Gespräch mit TAG24-Redakteurin Isabel Klemt (26) erzählt Nico, welche Fortschritte er dank therapeutischer Unterstützung gemacht hat.
Im Gespräch mit TAG24-Redakteurin Isabel Klemt (26) erzählt Nico, welche Fortschritte er dank therapeutischer Unterstützung gemacht hat.  © Eric Münch

Um solche Situationen auszuhalten, plante er früher jeden Schritt genau: Wohin er ging, wo die Toiletten waren - nichts überließ er dem Zufall.

Das führte dazu, dass er seine Wohnung nur noch im Notfall verließ. Statt selbst einkaufen zu gehen, ließ er liefern. Für Treffen hatte er immer Ausreden parat, um unangenehmen Situationen zu entkommen, oder sagte sie ganz ab, verriet er mir.

Kurzfristig gaben ihm diese Strategien zwar eine vermeintliche Sicherheit, langfristig führten sie jedoch dazu, dass er sich zunehmend isolierte und depressive Phasen entwickelte.

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"Mein Nervensystem machte keinen Unterschied mehr zwischen einem Wocheneinkauf und einer ernstzunehmenden Bedrohung wie einem Bärenkampf auf Leben und Tod", erklärte er.

Dank intensiver therapeutischer Unterstützung und eigener Strategien wie Atemübungen hat Nico in den vergangenen Monaten große Fortschritte gemacht. Schritt für Schritt hat er sich wieder in den Alltag zurückgekämpft - und meistert inzwischen Dinge, die ihm früher unmöglich erschienen.

"Ich habe Konzerte besucht, gehe wieder ganz normal einkaufen, war mehrfach in Berlin und sogar eine Woche in der Oberlausitz. Ich war mit einer Freundin in der Sächsischen Schweiz wandern, tatsächlich auch mehrmals alleine in der Heide - und vor Kurzem hatte ich sogar ein Date", erzählt Nico stolz.

Nico möchte das Bewusstsein für psychische Erkrankungen stärken

Im Gespräch mit TAG24 schilderte Nico, wie sehr ihn der Striezelmarkt in der Vergangenheit unter Druck setzte.
Im Gespräch mit TAG24 schilderte Nico, wie sehr ihn der Striezelmarkt in der Vergangenheit unter Druck setzte.  © Eric Münch

Besonders am Herzen lag ihm in diesem Jahr der Besuch des Striezelmarkts, da er es im vergangenen Jahr nicht geschafft hatte, dort hineinzulaufen. "Die Menschenmassen lösten Herzrasen und Schwindel bei mir aus. Ich hatte panische Angst, ohnmächtig zu werden und die Aufmerksamkeit damit auf mich zu lenken", so Nico.

Obwohl er noch nie ohnmächtig geworden ist, lähmten ihn diese Gedanken. Doch er hat gelernt, sich solchen Herausforderungen zu stellen, und konnte schließlich auch einmal mit mir über den Striezelmarkt schlendern.

Auf TikTok hat Nico mit seinem Account "immensueberfordert" bereits zahlreiche Follower gewonnen, die sich in seinen Unsicherheiten wiedererkennen.

Er sieht seinen Content und das Gespräch mit mir als Möglichkeit, mehr Sichtbarkeit und Verständnis für psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu schaffen. "Wir reden einfach viel zu wenig über mentale Gesundheit. Psychische Erkrankungen haben unzählige Facetten und ich versuche, mein eigenes Erleben online sichtbar zu machen, um einen Ort zu schaffen, an dem sich Menschen wiedererkennen, sich nicht alleine fühlen und vielleicht sogar ein wenig unterhalten werden."

Dabei betont er die Wichtigkeit, sich professionelle Unterstützung zu suchen. "Ich habe leider viel zu lange damit gewartet und immer alles nach hinten geschoben", gesteht er.

Gleichzeitig gibt Nico einen wertvollen Rat weiter: "Kommuniziert eure Ängste und Sorgen mit Menschen, bei denen ihr euch wohlfühlt. Es nimmt so viel Druck heraus, wenn man nicht die ganze Zeit das Gefühl hat, man steht alleine da. Ihr werdet merken, dass es auch anderen Personen in eurem Umfeld so geht."

Titelfoto: Eric Münch

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