Die fast vergessene Hipster-Partei: Diese Dresdnerin will bei dieser legendären Partei durchstarten

Dresden - Könnt Ihr Euch noch an die PIRATEN erinnern? Einst galten die als junge, hippe und digitale Alternative zu den verschlafenen Altparteien. Doch nach einem raketenhaften Aufstieg folgte der ebenso rasante Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Die Dresdnerin Anne Herpertz (24) möchte die Freibeuter jetzt zurück zu alter Stärke führen. Im Juni kandidiert Anne für den Vorsitz der fast vergessenen Partei. TAG24 verriet sie exklusiv, was sie zur Politik gebracht hat, wie viel Zeit noch für Hobbys bleibt und wie ihr Katze heißt.

Studentin Anne Herpertz (24) möchte Chefin der Piratenpartei werden.
Studentin Anne Herpertz (24) möchte Chefin der Piratenpartei werden.  © Eric Münch

TAG24: Anne, Du bist 24 Jahre alt. Macht man in dem Alter nicht lieber Party statt Parteipolitik?

Anne Herpertz: (Lacht) Man kann auch durchaus beides machen! Für mich ist es wichtig, sich politisch einzubringen, Möglichkeiten der Einflussnahme zu nutzen und somit in einer Partei Politik zu machen.

TAG24: Also ist die Piratenpartei die Partypartei?

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Herpertz: (Lacht abermals) Nein, das würde ich so nicht unbedingt sagen, wir machen schon sehr ernstzunehmende Politik. Uns sind viele Themen sehr, sehr wichtig, die nicht auf Party machen abzielen.

TAG24: Wofür steht Ihr Piraten eigentlich im Jahr 2022?

Herpertz: Wir sehen uns als liberale, soziale und vor allem digitalkompetente Partei. Wir sind aber nicht nur im Bereich Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung gut aufgestellt, sondern legen beispielsweise auch ein hohes Augenmerk auf Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen. Auch die Klimakatastrophe wollen wir verhindern.

TAG24: Und welchem politischen Spektrum würdet Ihr Euch selbst zuordnen?

Herpertz: Ich würde uns als links-liberal einordnen. Wir machen eine soziale Politik, die die Menschen stärken soll. Liberal sind wir außerdem im Sinne einer Partei, die sich für Grund- und Bürgerrechte einsetzt.

"Wir haben wirklich ein breites Spektrum an Themen"

Politikredakteur Paul Hoffmann (29, l.) und TAG24-Reporter Erik Töpfer (22, M.) im Gespräch mit der Piratin.
Politikredakteur Paul Hoffmann (29, l.) und TAG24-Reporter Erik Töpfer (22, M.) im Gespräch mit der Piratin.  © Eric Münch

TAG24: Genauso schnell, wie Ihr vor einigen Jahren aufgestiegen seid, seid Ihr auch wieder in der Versenkung verschwunden. Warum braucht es Euch auch heute noch?

Herpertz: Wir sind nicht zuletzt auch durch unseren EU-Abgeordneten Patrick Breyer (45) eine sehr kritische Stimme in Europa und in Deutschland – vor allem, wenn es um Pläne zur Überwachung der Bürger:innen oder ähnliche Themen geht. Dinge wie digitale Kompetenz und Schutz der Privatsphäre vertritt keine andere Partei so stark wie wir.

TAG24: Aber: Was bietet Ihr dem Wähler über Eure digitale Kompetenz hinaus noch an?

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Herpertz: Wir haben wirklich ein breites Spektrum an Themen. Vielleicht waren wir früher da sehr darauf fokussiert, aber inzwischen setzen wir uns auch für ganz viele soziale Themen ein, allen voran natürlich das bedingungslose Grundeinkommen. Das würde die Gegebenheiten des Sozialstaates wirklich grundlegend verändern. Ein wichtiges Anliegen für uns ist auch die Energiewende und der Ausstieg aus der Kohle.

TAG24: Warum hast Du Dich denn für die Piraten entschieden und nicht für eine Partei, mit der man auch Erfolge feiern kann?

Herpertz: (Lacht) Es geht ja nicht nur um Mandate oder darum, politisch Karriere zu machen. Es geht um indirekten inhaltlichen Einfluss und die kritische Stimme, die man bieten kann. Da habe ich mich bei den anderen Parteien nicht so sehr wohlgefühlt. Es ist ziemlich schwierig, bei verkrusteten Parteistrukturen wirklich Gehör zu finden. Bei den Piraten konnte ich direkt ankommen, mitmachen und meine Ideen einbringen. Hier musste ich mich nicht fünf bis zehn Jahre reinarbeiten, bevor man mich überhaupt mal ernst nimmt.

Herpertz: Den Grünen fehlen die sozialen Themen

Wer Anne auf ihr Alter reduziert, der täuscht sich. Auch mit 24 Jahren hat sie schon ganz genaue Vorstellungen von Politik.
Wer Anne auf ihr Alter reduziert, der täuscht sich. Auch mit 24 Jahren hat sie schon ganz genaue Vorstellungen von Politik.  © Eric Münch

TAG24: Was hat denn gegen die Linke oder die Grünen gesprochen?

Herpertz: Bei der Linkspartei ist es vor allem die Außenpolitik, die mir da ein Dorn im Auge ist. Wir finden da auch sehr verkrustete Parteistrukturen vor. Mir fehlen da außerdem auch ein bisschen die liberalen Sachen, also gegen staatliche Überwachung oder für Grundrechte wirklich einzustehen. Bei den Grünen fehlen mir vor allem die sozialen Themen. Selbst wenn das von der Ampel versprochene Bürgergeld wirklich kommen sollte, sind wir noch lange nicht da, wo ein bedingungsloses Grundeinkommen hinmuss. Also: Eine richtige soziale Absicherung für alle.

TAG24: Anne, Du kandidierst im Juni um den Parteivorsitz der Piraten. Wohin soll das Piratenschiff denn unter Dir segeln?

Herpertz: Ich möchte vor allem unsere Mitglieder wieder zusammenbringen und die Kompetenzen aller sinnstiftend nutzen. Bundesweite Kampagnen und eine Neumitgliederkampagne möchte ich ebenso voranbringen. Auch gehen wir nicht nach der größten Wähler:innen-Gruppe, wie die meisten großen Parteien das machen, wir nehmen nicht nur die älteren Generationen in den Blick, sondern wollen eine wahre Zukunftsperspektive bieten.

Ausgerechnet der Digitalpartei fehlt es an interner Vernetzung

Etwas verwundert zeigten sich Hoffmann und Töpfer darüber, dass gerade die Piraten so schlecht miteinander vernetzt sind.
Etwas verwundert zeigten sich Hoffmann und Töpfer darüber, dass gerade die Piraten so schlecht miteinander vernetzt sind.  © Eric Münch

TAG24: Moment: Seid Ihr denn aktuell so zerstreut? Wieso müsst Ihr wieder zusammengebracht werden?

Herpertz: Es ist eher so, dass einiges voneinander unabhängig stattfindet. Wir haben einen EU-Abgeordneten, der auch mehr unterstützt werden muss. Und dann haben wir noch viele kommunale Mandatstragende, die in Deutschland verstreut sind und mehr zusammengebracht werden müssen, um voneinander profitieren zu können.

TAG24: Aber warum ist eine Digitalpartei nicht miteinander vernetzt?

Herpertz: (Lacht) Das ist eine gute Frage! Wahrscheinlich ist das Digitale nicht alles. Die Bundespartei muss sich einfach in der Pflicht sehen, diese Strukturen zusammenzubringen. Das ist mein Ziel.

TAG24: Also ist die Partei aktuell nicht in der Lage, ihre Mandatsträger zu unterstützen?

Herpertz: Würde ich nicht komplett so unterschreiben, die Parteigliederungen vor Ort unterstützen sehr wohl, es geht eher darum, sie von der Bundesebene aus mehr zueinander zu bringen, um Potenziale besser zu nutzen.

TAG24: Wie könnt Ihr denn einen ernstzunehmenden Wahlkampf betreiben, wenn Ihr die eigenen Strukturen nicht im Griff habt?

Herpertz: Ich würde wirklich nicht sagen, dass die eigenen Strukturen nicht im Griff sind. Es geht darum, sie zu stärken. Was aber ein Problem ist, sind die sinkenden Mitgliederzahlen. Hier brauchen wir eine große Neumitglieder-Kampagne. Wir können sonst in Zukunft bei Wahlen einfach nicht mehr flächendeckend antreten.

Was ist deine Motivation, wenn Du doch eh nicht gewinnen kannst, Anne?

Die Arbeit in einer Kleinstpartei gleicht einem Full-Time-Job.
Die Arbeit in einer Kleinstpartei gleicht einem Full-Time-Job.  © Eric Münch

TAG24: Was ist eigentlich Deine Motivation zu einer Wahl anzutreten, die Du eh nicht gewinnen kannst?

Herpertz: Klar weiß ich, dass ich da keine reellen Chance habe. Es geht aber auch darum, im Raum sichtbar zu bleiben. Von Beginn an zu sagen, hier gibt es eh nichts zu holen, deshalb lassen wir es, ist definitiv der falsche Weg. Wir Piraten wollen zeigen, dass wir noch da sind und kompetente Kandidaten haben, die für uns antreten.

TAG24: Wie kann man sich die politische Arbeit in einer Kleinstpartei eigentlich leisten?

Herpertz: Bei uns sind bis auf einige in der Bundesgeschäftsstelle alle ehrenamtlich unterwegs. Alle arbeiten nebenbei noch, studieren, oder gehen anderen Sachen nach. Da wäre das bedingungslose Grundeinkommen natürlich wieder entlastend, weil man die Zeit investieren könnte, um das Ganze wirklich voranzubringen. Ansonsten ist es wirklich krass, was bei der Piratenpartei so geleistet wird. Im Vergleich zu den großen Parteien haben wir sowas wie Landtagsmitarbeiter usw. nicht, weil uns die Mandate fehlen. Es ist alles sehr starke ehrenamtliche Arbeit, die ich nicht genug loben kann!

TAG24: Wie viele Stunden die Woche steckst Du in die Politik?

Herpertz: Da ich im Kreisverband Dresden und im Ortsverband Neustadt im Vorstand bin und für die Fraktion der Dissidenten im Stadtrat arbeite, sind es bestimmt um die 20 bis 30 Stunden die Woche.

TAG24: Und was sagen da Freund und Familie dazu?

Herpertz: Die Zeit habe ich trotzdem, das fällt nicht hinten runter. Im Gegenteil bekomme ich sogar sehr positive Rückmeldungen aus meinem Umfeld, dass sie sich auch inspiriert fühlen, sich selbst politisch mit einzubringen.

Job und Partei sind "zwei Paar Schuhe"

Auch unserem Social-Media-Team um Crossmedia-Experte Paul Schönlebe (20) stand Anne Rede und Antwort. Die Ergebnisse seht Ihr in den kommenden zwei Wochen auf TAG24 Instagram.
Auch unserem Social-Media-Team um Crossmedia-Experte Paul Schönlebe (20) stand Anne Rede und Antwort. Die Ergebnisse seht Ihr in den kommenden zwei Wochen auf TAG24 Instagram.  © Paul Hoffmann

TAG24: Und wie schaut es mit Hobbys und Freizeitgestaltung bei einer Bald-Parteivorsitzenden aus?

Herpertz: (Lacht) Das werden wir dann sehen. Aber im Ernst, ich denke schon, dass da noch etwas Zeit bleibt. Ich habe wirklich vollste Energie, Motivation und Kraft, die Piraten wieder zukunftsfähig zu machen.

TAG24: Was wir uns aber immer noch fragen: Was machst Du, wenn Du Dich mal nicht mit Politik beschäftigst?

Herpertz: Tatsächlich nimmt die Politik fast meine gesamte Freizeit ein. Daneben bin ich auch noch bei antifaschistischen Bündnissen unterwegs und setze mich gegen Neonazis ein. Musik mag ich aber auch, und ich habe eine Katze namens Murat, auch Muri genannt. Die ist auch immer eine gute Beschäftigung.

TAG24: Was hat Dich eigentlich politisiert?

Herpertz: Ich komme aus einem Dorf hinter Meißen und da gab es vor knapp zehn Jahren sehr viele NPD-Proteste, gegen die ich auf die Straße gegangen bin. Später habe ich dann angefangen Politikwissenschaft an der TU zu studieren und bin da aktuell im Master.

TAG24: Abschließend: Wie schafft man denn diese Trennung zwischen Wissenschaftlerin und Politikerin?

Herpertz: Indem das wirklich zwei Paar Schuhe sind. Das eine ist die Arbeit, bei der ich auftauche und das mache, was ansteht. Das andere ist die Parteiarbeit. Ansonsten ist es eher so, dass man da jeweils auch voneinander lernen kann: theoretisches Wissen aus der Wissenschaft und praktische Erfahrung aus der Politik.

Titelfoto: Eric Münch

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