Schwer depressive Studentin wollte sterben: Arzt sitzt auf der Anklagebank

Berlin - Im Prozess um einen Sterbehilfe-Fall hat der angeklagte Arzt vor dem Landgericht Berlin ausführlich sein Vorgehen begründet.

Die Staatsanwaltschaft wirft Christoph Turowski (74, l.) vor, ihm sei bewusst gewesen, dass die 37-Jährige wegen ihrer Erkrankung zur freien Willensbildung nicht in der Lage gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft wirft Christoph Turowski (74, l.) vor, ihm sei bewusst gewesen, dass die 37-Jährige wegen ihrer Erkrankung zur freien Willensbildung nicht in der Lage gewesen sei.  © Jörg Carstensen/dpa

Die betroffene Frau habe klar und entschlossen gewirkt. Er habe zu keinem Zeitpunkt Zweifel an "ihrer Urteils- und Entscheidungsfreiheit" gehabt, sagte der 74-Jährige am Dienstag zu Verhandlungsbeginn. "Ich sah die große seelische Not und die Entschlossenheit, notfalls einen Gewaltsuizid zu begehen", erklärte der Mediziner. Er hatte im Sommer 2021 nach eigenen Angaben einer an schweren Depression erkrankten Frau tödlich wirkende Medikamente überlassen. Die Anklage lautet unter anderem auf Totschlag in mittelbarer Täterschaft.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mediziner vor, ihm sei bewusst gewesen, dass die 37-Jährige wegen ihrer Erkrankung zur freien Willensbildung nicht in der Lage gewesen sei. Zum Tatzeitpunkt habe sie sich in einer akuten Krankheitsphase befunden. Der Wunsch zu sterben, sei Teil des Krankheitsbildes einer Depression. Laut Staatsanwaltschaft soll die Frau seit 2005 an einer schweren Depression erkrankt gewesen sein.

Die Studentin der Tiermedizin soll Anfang Juni 2021 Kontakt zu dem Arzt aufgenommen haben. Laut Anklage stellte der Mediziner ihr knapp zwei Wochen später tödlich wirkende Tabletten zur Verfügung, die sie jedoch erbrach. Am 12. Juli 2021 soll der Arzt dann der 37-Jährigen in einem Hotelzimmer eine Infusion mit einem tödlich wirkenden Medikament gelegt haben. Diese habe die Frau laut Ermittlungen selbst in Gang gebracht. Kurz darauf sei sie gestorben.

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Der 74-Jährige bestätigte den in der Anklage genannten Hergang des Tatgeschehens. Er sei in beiden Fällen jeweils die ganze Zeit bei der Frau gewesen. Sie habe auf ihn einen klaren Eindruck gemacht und entschlossen gewirkt. Nach dem misslungenen Suizidversuch habe sie sehr auf einen baldigen neuen Termin gedrängt.

War die Erkrankte in der Lage, aus freiem Willen zu entscheiden?

Der Angeklagte war früher 30 Jahre als Hausarzt in Berlin tätig. 2015 habe er seine Praxis abgegeben, so der Mediziner. "Seitdem bin ich auf einem anderen Feld tätig." Der Mann gehört einer Sterbehilfeorganisation an und hat nach eigenen Angaben für diese bislang etwa 100 Menschen beim Suizid begleitet.

In einem früheren Prozess um Sterbehilfe ist der Arzt freigesprochen worden. Damals entschied das Berliner Landgericht im Fall einer an einer chronischen Darmerkrankung leidenden Frau. Der langjährige Hausarzt hatte einer 44 Jahre alten Patientin bei ihrer Selbsttötung geholfen und ihr Tabletten verschrieben, die sie allein eingenommen hatte. Der Patientenwille sei zu achten, hieß es im März 2018 im Urteil, das der Bundesgerichtshof (BGH) später bestätigte.

Für den aktuellen Fall hat das Landgericht bislang neun weitere Verhandlungstage bis zum 26. März geplant. Der Prozess soll an diesem Freitag (23. Februar) fortgesetzt werden.

Normalerweise berichtet TAG24 nicht über Suizide. Da der Vorfall aber im öffentlichen Ausmaß diskutiert wurde, hat sich die Redaktion entschieden, es doch zu thematisieren.

Solltet Ihr selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, findet Ihr bei der Telefonseelsorge rund um die Uhr Ansprechpartner, natürlich auch anonym. Telefonseelsorge: 08001110111 oder 08001110222 oder 08001110116123.

Titelfoto: Jörg Carstensen/dpa

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