Betroffener schildert im Prozess gegen Magdeburg-Todesfahrer: "Wir hätten alle drei tot sein können"

Magdeburg - Der Prozess um den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt wurde am Donnerstag fortgesetzt. Es war ein höchst emotionaler Tag.

Der Angeklagte Taleb A. steht für seine Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt vor Gericht.
Der Angeklagte Taleb A. steht für seine Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt vor Gericht.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Am elften Prozesstag sagte zunächst die Mutter des kleinen André (†9) aus. Sie schilderte ihre Erinnerungen an den Anschlagsabend und die letzten Momente im Leben des Jungen.

Im Tagesverlauf standen insgesamt sechs weitere Geschädigte vor Gericht. Darunter eine Ersthelferin, die am Tag des Vorfalls ein verletztes Mädchen betreute und ein Mann, der durch die Todesfahrt lebensbedrohlich verletzt worden war.

Ein Zeuge zeigte sich wütend gegenüber dem Angeklagten und sprach ihn direkt an. Ein weiterer Betroffener sagte aus, dass er sich vom Staat alleingelassen fühlte.

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Der Angeklagte Taleb A. (51) zeigte sich während der Verhandlung teilnahmslos und lag überwiegend mit dem Gesicht auf dem Tisch oder starrte nach unten. Zeitweise hielt er sich ein Taschentuch vor das Gesicht.

TAG24 war vor Ort und berichtete live. In diesem Artikel könnt Ihr den kompletten Verhandlungstag nachlesen.

14.29 Uhr: Elfter Prozesstag beendet

Richter Dirk Sternberg verabschiedet die letzte Zeugin des Tages und beendet damit den Verhandlungstag.

Der Prozess wird erst am 15. Dezember fortgesetzt.

Der Prozess setzt erst am 15. Dezember fort.
Der Prozess setzt erst am 15. Dezember fort.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

14.10 Uhr: Verletzte kämpft bis heute mit Folgen des Anschlags

Die 60-Jährige wurde von einen Arzt überwacht. Es dauerte allerdings mehrere Stunden, bis sie ins Krankenhaus gebracht werden konnte, erinnert sie sich.

Schließlich kam sie in ein Krankenhaus in Schönebeck, wo sie sofort operiert werden musste: Ihre Milz war verletzt und mehrere Rippen gebrochen. "Ich war froh, dass ich am Leben war", erklärt die Zeugin, die anschließend zu Hause von ihrem 23-jährigen Sohn betreut werden musste.

Bis vor Kurzem war die Geschädigte in psychologischer Betreuung, nimmt bis heute an Selbsthilfegruppen teil und ist weiterhin krank geschrieben.

"Ich war eine kerngesunde Frau, für die das Alter nur eine Zahl war", erklärt sie, während sie sichtbar um Fassung ringt, "meine Belastbarkeit hat nachgelassen und ich ermüde schnell." Auch leidet sie unter Schlafstörungen und hat Angst vor Dunkelheit und Autogeräuschen.

13.58 Uhr: Geschädigte wurde gegen eine Bude geschleudert

Als letzte Zeugin des Verhandlungstages sagt nun eine 60-jährige medizinische Fachangestellte aus. Am 20. Dezember machte sie Erledigungen in der Innenstadt und schlenderte spontan über den Weihnachtsmarkt.

Sie war gerade auf dem Heimweg, als sie laute Geräusche hörte. "Als ich das Auto gesehen haben, hat er mich schon durch diese Schlenkerfahrt getroffen und gegen eine Bude geschleudert", schildert sie. Sie erlitt dadurch eine Kopfwunde und erinnert sich an starke Schmerzen im Brustkorb.

"Vor mir wurde ein Mann reanimiert, daneben saß seine hochschwangere Freundin. Hinter mir wurde ein Kind reanimiert", schildert sie ihre Beobachtungen vom Anschlagsabend.

13.47 Uhr: Zeuge ist "extrem wütend auf den Angeklagten"

Alle drei erlitten Kopfprellungen, der Zeuge eine Platzwunde. Seinem neunjährigen Sohn wurde zusätzlich ein Zahn abgebrochen, seine Frau wurde am Rücken und an den Knien verletzt.

Dennoch: "Wir haben extremes Glück gehabt", berichtet der 57-Jährige, "wir hatten dreimal einen Schutzengel. Das hätte wesentlich schlimmer enden können." Der Familienvater ringt mit der Fassung, als er sich an die positiven Dinge des Abends erinnert. Die Anteilnahme und der Einsatz der Rettungskräfte habe ihn schwer beeindruckt.

Abschließend stellt er klar: "Ich bin extrem wütend auf den Angeklagten." Er kritisiert die Gründe, die der Angeklagte Taleb A. für seine Taten hervorgebracht hat. "Das ist alles kein Grund in einem Land, was Sie aufgenommen hat, Menschen umzubringen oder schwer zu verletzten", sagt er an den Todesfahrer gerichtet.

Der Prozess findet in einem extra gebauten Gerichtsgebäude am Jerichower Platz in Magdeburg statt.
Der Prozess findet in einem extra gebauten Gerichtsgebäude am Jerichower Platz in Magdeburg statt.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

13.29 Uhr - Betroffener: "Wir hätten alle drei tot sein können"

Jetzt sagt ein 57-jähriger Schulleiter aus Magdeburg aus. Er habe zunächst nicht geplant, vor Gericht auszusagen, wolle mit seiner Aussage aber bezwecken, den Fokus vom Angeklagten weg und wieder auf die Geschädigten zu rücken, erläutert er.

Am Anschlagsabend war er mit Frau und Kind auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Sie spazierten über die Hauptstraße, als sie das Tatauto erblickten, was "mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit" auf sie zusteuerte. "Wir hätten alle drei tot sein können", erläutert der 57-Jährige.

Der Magdeburger riss seinen Sohn aus dem Weg. "Er hat angefangen zu weinen. Und ein weinendes Kind ist nichts Schönes, aber in dem Moment dachte ich nur 'das heißt, er lebt'", erinnert sich der Schulleiter.

13.20 Uhr: Betroffener fühlt sich vom Staat allein gelassen

Der 49-jährige Selbstständige ist bis heute krankgeschrieben, was für ihn massive finanzielle Einbuße nach sich zieht.

Die Politik habe versprochen, die Betroffene nicht allein zu lassen: "Wir Selbstständigen flogen unter dem Radar", erläutert er. Ihm wurde demnach von einem Behördenmitarbeiter gesagt, er solle seine Firmen abmelden und sich arbeitslos melden, weil dann "der Staat für ihn sorgen" würde.

Der Geschädigte schildert, dass er selbst im Krankenbett versucht habe, weiterzuarbeiten. "Es gab nirgends eine Möglichkeit, mir zu helfen." Er musste schließlich auf zinsfreie Kredite von Freunden und Geschäftspartnern zurückgreifen, um über die Runden zu kommen.

13.10 Uhr: Verletzter zog nach Anschlag aus Magdeburg weg

Der Mann wurde nach eigenen Angaben als lebensbedrohlich verletzt eingestuft.

Im Krankenhaus wurde der sechsfache Vater operiert und schon zwei Tage nach dem Anschlag entlassen. Eigentlich hätte er länger bleiben müssen, schildert der 49-Jährige, wollte aber Weihnachten mit seiner Familie feiern. Seine Lebensgefährtin übernahm die Intensivpflege.

Der Zeuge erlitt ein Schleuder- sowie ein Schädel-Hirn-Trauma und ist bis heute in physiotherapeutischer und psychologischer Behandlung.

"Mir wurde eingetrichtert, ein Mann kennt keinen Schmerz. Ich dachte, ich schaffe das schon alleine", erklärt er unter Tränen. Erst im Sommer habe er sich Hilfe gesucht.

Der Mann lebte viele Jahre in Magdeburg, zog nach dem Ereignis aber wieder in seine Heimat nach Sachsen. "Ich hab es hier nicht mehr ausgehalten."

Der Angeklagte Taleb A. zeigt sich im Prozess teilnahmslos.
Der Angeklagte Taleb A. zeigt sich im Prozess teilnahmslos.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

12.59 Uhr: Verletzter schildert schockierende Details vom Anschlag

Der 49-Jährige war am Anschlagsabend mit Kollegen vor Ort. Er wollte zwei indischen Mitarbeitern einen typisch deutschen Weihnachtsmarkt zeigen, erläutert er.

Die Gruppe stand neben einer Bude um einen Stehtisch, doch der Geschädigte etwas von seinen Kollegen entfernt, da er rauchen wollte. Er vernahm dann "Krawall und Knalle".

Der Mann sah das Tatauto nur für einen Bruchteil, bevor der Wagen ihn erfasste, schildert der Zeuge unter Tränen. "Ich vergleiche das mit einem Schneepflug. Statt Schnee schob er aber Menschen vor sich her."

Der Geschädigte wurde sofort bewusstlos und kam erst wieder zu sich, als er auf dem Boden lag. Ein Trümmerteil hatte ihm eine schwer blutende Kopfwunde zugefügt.

12.51 Uhr: Prozess wird fortgesetzt

Nach der einstündigen Mittagspause wird der Prozess am elften Verhandlungstag fortgesetzt.

Als erster Geladener nach der Pause sagt ein 49-jähriger Zeuge aus. Gleich zu Beginn seiner Aussage bedankt er sich bei den Ersthelfern.

11.46 Uhr: Prozess pausiert

Richter Dirk Sternberg spricht der Zeugin seinen höchsten Respekt aus, bevor er sie entlässt. Es wird eine einstündige Mittagspause angekündigt.

Der Verhandlungstag pausiert bis 12.45 Uhr.

Titelfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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