Von Sabine Dobel
München - Immer wieder schüttelt die hochbetagte Seniorin auf der Anklagebank den Kopf. "Nein" und "unfassbar" murmelt die 90-jährige, während die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl das Urteil verkündet: Acht Jahre und drei Monate Haft wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.
Laut Landgericht München I hatte die Seniorin vor einem Jahr ihre engste 77 Jahre alte Freundin im Streit um das Aufräumen von Einkäufen unter anderem mit einem Kochtopf geschlagen und tödlich verletzt. Die Frau sitzt seit der Tat im vergangenen Sommer in Untersuchungshaft - die nun vorerst fortbesteht.
Die Richterin sprach von einem ungewöhnlichen Verfahren - auch wegen des hohen Alters der Angeklagten. Die beiden Frauen habe über 40 Jahre eine Freundschaft verbunden, die allerdings zunehmend ungleich war. Die Angeklagte habe sich ihrer Freundin geistig überlegen gefühlt, während sie zugleich ihre Hilfe brauchte.
Bereits mehrfach vor der tödlichen Tat habe die Angeklagte ihre Freundin nicht nur verbal, sondern zunehmend auch körperlich traktiert - was die Freundin jedoch hingenommen habe, sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung.
Ob mehrere Verletzungen, die bei der Obduktion festgestellt wurden, von derartigen Übergriffen stammten oder von Stürzen, sei nicht genau feststellbar und auch nicht Gegenstand des Verfahrens.
Gericht in München verurteilt 90-Jährige wegen Totschlags zu acht Jahren Haft
Zum Streit Mitte Juli 2024 kam es, weil die Jüngere sich nicht an die Anweisung der Älteren hielt, nicht in die Küche zu gehen, um ein eingekauftes Eis aufzuräumen. Schon hier habe die 90-Jährige ihre Freundin geschlagen.
Schon beeinträchtigt durch die Schläge habe die 77-Jährige später versehentlich in der Küche mehrere Dinge zu Boden gestoßen. Das habe die damals 89-Jährige so in Rage gebracht, dass sie die Jüngere anging und, als diese sie zurückstieß, mit dem Kochtopf zuschlug.
Es gebe ein "auffälliges Missverhältnis zwischen Anlass und Tat", sagte die Richterin. Schließlich habe es sich bei der Freundin um ein "aus Unachtsamkeit begangenes versehentliches Mitgeschick" gehandelt.
Kalt ließ der Tod der Freundin sie offensichtlich nicht: Als sie feststellte, dass diese nicht mehr lebte, habe sie ihr eine Rose auf die Brust gelegt.
Tage später rief die Seniorin - nachdem eine Bekannte ihr zugeraten hatte - die Polizei. Bei den Beamten gab sie an, es habe einen Streit gegeben, in deren Verlauf sie zu dem Topf gegriffen habe, nun sei die Freundin tot.
Frei mit 95? Angeklagte in rüstigem Zustand
Die Verteidigung hatte stets moniert, dass ihre Mandantin in der nächtlichen Vernehmung nicht korrekt belehrt worden sei. Deshalb sei die Vernehmung nicht verwertbar.
Auch wenn die Angeklagte im Rollstuhl ins Gericht geschoben wurde, dürfe das nicht über ihren für ihr Alter sehr rüstigen Zustand hinwegtäuschen, sagte die Richterin Ehrl. "Allein ihr fortgeschrittenes Alter entbindet Sie nicht von ihrer Verantwortung für die Tat", wandte sie sich an die Angeklagte.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Anwälte der Frau kündigten an, wahrscheinlich in Revision zu gehen.
Wenn es bei dem Urteil bliebe, müsste die 90-Jährige nach Einschätzung der Anwältin von Stetten wahrscheinlich noch etwa viereinhalb Jahre absitzen. Dann wäre sie 95 Jahre alt.
Die Richterin sah es so: Die Angeklagte habe angesichts ihrer guten Konstitution "eine realistische Chance die Freiheit wieder zu erlangen."