Hilfe nach sexuellem Missbrauch: Childhood-Haus soll Opfern weiteres Leid ersparen

Leipzig - Wer durch die Tür des Childhood-Hauses in der Leipziger Uniklinik tritt, wird in freundlicher Atmosphäre empfangen. Die Besprechungsräume sind in hellen Farben gehalten, Spielzeug und Kuscheltiere sollen Kindern den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen. Ein Behandlungszimmer mit gynäkologischem Stuhl in Kindergröße erinnert allerdings daran: Wenn junge Patientinnen und Patienten in den Keller von Haus 6 der Uniklinik kommen, ist die Lage sehr ernst.

Kinder, die im Leipziger Childhood-Haus behandelt werden, haben oft Schreckliches erlebt. Die Einrichtung soll ihnen seit 2018 zusätzliches Leid ersparen - mit Erfolg, meinen die Beteiligten. (Symbolbild)
Kinder, die im Leipziger Childhood-Haus behandelt werden, haben oft Schreckliches erlebt. Die Einrichtung soll ihnen seit 2018 zusätzliches Leid ersparen - mit Erfolg, meinen die Beteiligten. (Symbolbild)  © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Im Childhood-Haus, das es seit Ende 2018 gibt, sollen Kinder und Jugendliche zur Ruhe kommen können, die Opfer sexuellen Missbrauchs oder von Misshandlung geworden sind. Dass ihnen auf diese Weise zusätzliches Leid erspart werde, sei eine Erfolgsgeschichte, meinen die Beteiligten.

Nach einem sexuellen Übergriff haben Kinder und Jugendliche in der Regel eine weitere Tortur vor sich: Acht, neun Mal müssen sie die erlebten Qualen erneut schildern - bei Polizisten, Ärzten, Psychologen, Richtern und Gutachtern im Gerichtsprozess.

Im Leipziger Haus, das die World Childhood Foundation der schwedischen Königin Silvia vor dreieinhalb Jahren als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland eröffnet hat, ist das anders: "Die Vernehmung des Kindes wird bereits im Ermittlungsverfahren aufgenommen. Diese Aufzeichnung tritt dann an die Stelle der Befragung im Gerichtsprozess", sagt Michael Wolting, Präsident des Amtsgerichts Leipzig.

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Ziel sei es, dass Kinder so selten wie möglich vernommen werden müssten. Dafür kommen im Childhood-Haus verschiedene Akteure zusammen - Richterinnen, Ärzte und Psychologen der Uniklinik und Opferschutz-Organisationen.

Kern des Childhood-Hauses ist ein kleiner, unauffälliger Raum mit zwei Sesseln. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass fünf Kameras an den Wänden und sogar an der Decke verteilt sind. Sie werden aktiviert, wenn die Richterin Claudia Webers oder ihre Kollegin mit einem Kind im Raum sitzen, das missbraucht wurde.

"Befragungen von Kindern sind in der Regel ab fünf bis sechs Jahren möglich. Vorher sind die Kinder zu klein und aufgrund des Alters oft nicht in der Lage, Angaben zu einem Ereignis zu machen", sagt Webers.

"In der Regel sind die Tatverdächtigen Angehörige oder Bekannte der Familie"

Wie in dieser nachgestellten Szene, findet die Befragung eines Missbrauchsopfers im Leipziger Childhood-Haus in einem Raum mit Kameras statt.
Wie in dieser nachgestellten Szene, findet die Befragung eines Missbrauchsopfers im Leipziger Childhood-Haus in einem Raum mit Kameras statt.  © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Die Fälle, die sie behandelt, landen später je nach Schwere der Taten vor dem Amts- oder Landgericht. "In der Regel sind die Tatverdächtigen Angehörige oder Bekannte der Familie: Väter, Stiefväter, Onkel, Opas, Nachbarn, Betreuer in Vereinen - aber auch Brüder", sagt Webers.

Ihre Aufgabe ist es, ein- bis zweimal pro Woche, ein Kind so ausführlich zu befragen, dass es im Prozess möglichst gar nicht mehr aussagen muss. Damit die Befragung im Prozess verwendbar ist, dürfen der Angeklagte, sein Verteidiger, die Staatsanwaltschaft und Glaubwürdigkeitsgutachter während der Befragung im Nebenzimmer sitzen. Per Tablet können sie Webers Fragen an das Kind durchgeben. Justizwachtmeisterinnen bedienen die Kameras und sorgen dafür, dass den Prozessbeteiligten nichts entgeht.

Die jungen Betroffenen zu befragen, sei eine Herausforderung, sagt Webers. "Ich muss suggestionsfrei fragen, das geht nur mit viel Geduld. Wenn ich ein Kind frage, was passiert ist, sagt es oft zu mir: 'Dann hat der Mann DAS gemacht'." Oft fehlten den Kindern die Worte zu beschreiben, was genau vorgefallen sei - oder es fielen Ausdrücke wie Geschlechtsverkehr, ohne dass sie wüssten, was genau gemeint sei.

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Bei der Befragung müsse alles exakt ablaufen, weil der sexuelle Missbrauch an Kindern streng bestraft werde, sagt Gerichtspräsident Wolting. "Wir hatten hier noch keine Fälle, in denen etwa die Verteidigung den Prozess angezweifelt hätte."

Auch sonst sei das Childhood-Haus ein Erfolg. "Bei der Gründung vor gut drei Jahren hätte ich nicht gedacht, dass das Projekt so gut anlaufen würde."

Andere sollen von den Leipziger Erfahrungen profitieren

Die Aussage wird aufgezeichnet. Justizwachtmeisterinnen bedienen die Kameras.
Die Aussage wird aufgezeichnet. Justizwachtmeisterinnen bedienen die Kameras.  © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Damit andere von den Leipziger Erfahrungen profitieren können, ist Richterin Webers etwa in Kontakt mit Kolleginnen in Berlin und Flensburg. Die beiden Einrichtungen gehören zu den insgesamt sechs Childhood-Häusern, die nach Angaben der Stiftung in Deutschland bislang eröffnet worden sind. Im April sollen zwei weitere ihre Arbeit aufnehmen.

Ähnlich positiv ist die Bilanz von Matthias Bernhard, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin. Die Medizinerinnen und Mediziner werden etwa dazu gerufen, wenn Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder Misshandlung eines Kindes besteht. Auch wenn der Klinik Verletzungen bei kleinen Patientinnen und Patienten auffallen, kommt ein Team aus verschiedenen Experten zusammen.

"Schon vor Gründung des Childhood-Hauses hatten wir eine interdisziplinäre Kinderschutzgruppe", sagt Bernhard. Das Entscheidende sei aber, dass es jetzt einen Ort für die Fallbesprechungen und Untersuchungen der Kinder gebe. "Wir können jetzt Slots für die Untersuchung der Kinder schaffen und es passiert nicht mehr, dass eine gehetzte Ärztin in der Notambulanz ein Kind untersuchen muss und alle fünf Minuten die Tür aufknallt."

Ein Problem bleibe jedoch die Personalsituation, meint Bernhard. Im Childhood-Haus sei lediglich eine Koordinatorin fest angestellt - die Mediziner müssten sich in ihrem ohnehin vollen Terminkalender Zeit nehmen, sagt Bernhard. "Wir bräuchten eigentliche eine Psychologin, einen Kinderarzt und einen Sozialarbeiter, die fest für die Kinderschutzarbeit zuständig sind."

Es sei Aufgabe des Staats, der Kommune und des Landes, entsprechende Stellen zu schaffen.

Titelfoto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

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