Zehn Jahre Kölner Silvesternacht: "Frauen empfanden einen Zustand völliger Hilflosigkeit"
Von Christoph Driessen
Köln - Die körnigen Bilder gingen um die Welt: im Vordergrund junge, dunkelhaarige Männer, vor ihnen Rauch und explodierende Feuerwerkskörper, im Hintergrund die Portale, Fenster und Strebebögen des Kölner Doms. Der Platz zwischen Kathedrale und Hauptbahnhof war in der Silvesternacht 2015/16 Schauplatz sexueller Übergriffen auf Frauen.
Der Kriminalpsychologe Rudolf Egg (77) hat für den nordrhein-westfälischen Landtag mehr als 1000 Anzeigen aus der Kölner Silvesternacht ausgewertet und ein Gutachten erstellt. Er ist sich sicher: "Ein solches Geschehen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, auch nicht in einem anderen europäischen Staat." Das erkläre auch das überragende internationale Interesse an dem Ereignis.
Die Anzeigen ergäben in der Zusammenschau ein verblüffend einheitliches Bild, berichtet Egg der Deutschen Presse-Agentur. "Die Frauen empfanden einen Zustand völliger Hilflosigkeit, weil die Polizei entweder gar nicht da war oder nicht eingriff. Sie gaben auch übereinstimmend an, dass sie die Täter gar nicht richtig beschreiben könnten, weil alles so schnell gegangen sei."
Beides zusammen habe den besonderen Schrecken der Situation ausgemacht: Die sexuelle Belästigung in Kombination mit dem Bewusstsein "Ich bin hier ganz allein auf mich gestellt, mir hilft hier keiner".
Den Ablauf des Geschehens rekonstruierte Egg so: Die Frauen trafen am Silvesterabend im Kölner Hauptbahnhof ein, um in der Stadt zu feiern. "Eine Frau berichtete zum Beispiel, dass sie mit zwei Freundinnen über den Bahnhofsvorplatz gegangen sei." Sie waren bereits im Hotel gewesen und hatten sich dort ausgehfertig gemacht.
Die Übergriffe waren spontan, nicht geplant
"Plötzlich, so schilderte es die Frau, wurden sie von hinten begrapscht, und als sie sich umdrehten, blickten sie in die grinsenden Gesichter mehrerer junger Männer mit südländischem Aussehen. Wer was gemacht hatte, konnten sie in dieser Situation gar nicht sagen." Das sei auch der Grund dafür gewesen, warum nur so wenige Täter zur Rechenschaft gezogen worden seien.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Köln gab es 1210 Strafanzeigen, von denen sich 511 auf sexuelle Übergriffe bezogen. Angeklagt wurden letztlich 46 Personen, von denen 36 verurteilt wurden - nur zwei wegen sexueller Nötigung. Der Großteil der Beschuldigten kam aus Nordafrika, vor allem aus Algerien und Marokko - nicht aus Syrien, dem Land, aus dem in den Monaten zuvor Hunderttausende Kriegsflüchtlinge in Deutschland Schutz gesucht hatten.
Nach Eggs Recherchen hatten sich die jungen Männer über die sozialen Netzwerke verabredet, um die Silvesternacht in Köln zu verbringen. Da sie aber kein Geld hatten, um irgendwo feiern gehen zu können, blieben sie in der Umgebung des Hauptbahnhofs und in der Nähe der Hohenzollernbrücke, von der aus man um Mitternacht einen guten Blick auf das Feuerwerk hat.
"Es ist keineswegs davon auszugehen, dass alle mit dem Plan angereist sind, Frauen zu belästigen", betont Egg. "Es war vielmehr so, dass einige das getan haben und die anderen dann merkten, dass nichts geschah. Und das hat diese dann dazu gebracht, ebenfalls Frauen zu begrapschen und Diebstähle zu begehen. Es war eine Art soziale Ansteckung."
Dass die muslimischen Täter bewusst gehandelt hätten, um die Ohnmacht der westlichen Gesellschaft vorzuführen, bezeichnet Egg als "Verschwörungserzählung".
Titelfoto: Markus Boehm/dpa

