Aufstand gegen das DDR-Regime: Warum die Volkspolizei am 17. Juni 1953 eine Leiche beschlagnahmte

Leipzig - Noch heute erinnert das Panzerspuren-Denkmal auf dem Markt in Leipzig an den Volksaufstand am 17. Juni 1953. Hatten am Morgen zunächst Arbeiter friedlich gegen die Normerhöhung protestiert, sammelten sich wenige Stunden später 40.000 Leipziger in der Innenstadt und demonstrierten für bessere Lebensverhältnisse und gegen das DDR-Regime. Ein SED-Funktionär erteilte eigenmächtig einen Schießbefehl und verantwortete damit den ersten Toten des Aufstands in der Messestadt. Um 16 Uhr am heutigen Dienstag lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zur Gedenkfeier.

Die Nachricht des getöteten Demonstranten verbreitete sich in Leipzig wie ein Lauffeuer. (Archivbild)
Die Nachricht des getöteten Demonstranten verbreitete sich in Leipzig wie ein Lauffeuer. (Archivbild)  © Foto von BSTU / FILES BSTU / AFP

Dieter Teich war 19 Jahre alt, als er sich am Morgen des 17. Juni 1953 seinen streikenden Kollegen anschloss und mit ihnen in die Innenstadt zog. In der Beethovenstraße forderte der gelernte Gießereifacharbeiter und Sohn eines Lokomotivführers mit anderen Demonstranten die Freilassung der Häftlinge aus der Untersuchungshaftanstalt der Stasi.

Gegen 14 Uhr fuhren Lkw mit sowjetischen Soldaten vor, gaben Warnschüsse ab, zogen sich dann jedoch überraschend zurück. Die Demonstranten fühlten sich ermutigt und versuchten, das Gebäude zu stürmen. Dann fielen die ersten Schüsse.

Basierend auf der eigenmächtigen Entscheidung des Leipziger SED-Funktionärs Paul Fröhlich eröffneten Volkspolizisten und Stasi-Offiziere das Feuer auf die Menge.

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Dieter Teich wurde in der Brust getroffen und erlag noch vor Ort seinen Verletzungen. Wie später bekannt wurde, hatte die Kugel sein Herz durchschlagen. Er war der erste Tote des Volksaufstandes in Leipzig.

Die Nachricht verbreitete sich in der Stadt wie ein Lauffeuer

Dieter Teich wurde nur 19 Jahre alt, die Kugel traf ihn direkt ins Herz.
Dieter Teich wurde nur 19 Jahre alt, die Kugel traf ihn direkt ins Herz.  © Privatarchiv Siegfried Teich

Die Demonstranten betteten den Getöteten auf eine Bahre und trugen ihn über den Ring in Richtung Hauptbahnhof. Immer mehr Menschen schlossen sich dem spontanen Leichenzug an und legten Blumen auf den Verstorbenen.

Die Nachricht verbreitete sich in der Stadt wie ein Lauffeuer. Parolen wurden skandiert. Die Volkspolizei beschloss daraufhin, dem Treiben ein Ende zu setzen: Gegen 17 Uhr bedrohten sie die Demonstranten mit vorgehaltener Waffe und beschlagnahmten den Leichnam. Mehrere Träger der Bahre wurden gleichsam verhaftet.

Dieter Teich wurde zum Leipziger Südfriedhof gebracht und dort am 20. Juni ohne das Einverständnis seiner Angehörigen eingeäschert. Die Stasi zwang die Familie, Stillschweigen über die Todesumstände ihres Sohnes zu bewahren. Erst am 17. August 1953 wurde Dieter Teich auf dem Nordfriedhof beigesetzt.

Gedenkfeier am Dienstag in der Straße des 17. Juni

Am frühen Abend des 17. Juni verhängte der sowjetische Militärkommandant den Ausnahmezustand und ließ die Proteste blutig niederschlagen. Infolgedessen waren im Bezirk Leipzig neun Tote und 95 Verletzte zu beklagen. Insgesamt wurden im Verlauf der Proteste 55 DDR-Bürger getötet, unter ihnen sieben Minderjährige. Sieben Demonstranten wurden später zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Der eigenmächtig erteilte Schießbefehl durch Paul Fröhlich gewährte dem Leipziger Parteifunktionär die Gunst von Staatschef Walter Ulbricht und ermöglichte ihm den Aufstieg in den engeren Führungskreis der SED.

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. lädt am heutigen Dienstag um 16 Uhr zum Erinnern an die Opfer des 17. Juni 1953 an der Gedenktafel in der Straße des 17. Juni ein. Im Anschluss wird Zeitzeuge Christian Dertinger schildern, wie er den Volksaufstand erlebt hat. Musikalisch umrahmt wird die Kranzniederlegung von den Leipziger Blechbläsersolisten.

Titelfoto: Foto von BSTU / FILES BSTU / AFP

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