2019 von Raser getötet, noch immer kein Prozess: Hat die Justiz Ruben (†16) vergessen?

Leipzig - Er war erst 16 Jahre alt, als er starb. Am 12. Februar 2019 wurde Ruben W. auf dem Ranstädter Steinweg in Leipzig von einem getunten Mercedes totgefahren. Es gibt Hinweise, wonach der Schüler Opfer eines illegalen Autorennens geworden sein könnte. Doch die Justiz hat es auch mehr als zwei Jahre nach dem Unglück nicht geschafft, den Fall aufzuarbeiten. Rubens Eltern, die ihren einzigen Sohn verloren, fühlen sich verhöhnt.

Ein Geländer als Ort des Gedenkens: Jede Woche kommen Maria W. (53) und Matthias M. (55) zur Unfallstelle, treffen sich dort auch mit Freunden ihres tödlich verunglückten Sohnes.
Ein Geländer als Ort des Gedenkens: Jede Woche kommen Maria W. (53) und Matthias M. (55) zur Unfallstelle, treffen sich dort auch mit Freunden ihres tödlich verunglückten Sohnes.  © Ralf Seegers

Ja, Matthias M. (55) und Maria W. (53) wissen, dass ihr Sohn nicht schuldlos an dem Unfall war. Auf der Hatz nach einer Straßenbahn war Ruben bei Rot über die Straße gerannt. Den schwarzen Mercedes E63 AMG, der aus Richtung Jahnallee angerast kam, hatte er vermutlich nicht gesehen.

Doch da ist das DEKRA-Gutachten. Als der 585 PS starke Bolide gegen den Fußgänger krachte, hatte er trotz Bremsung noch eine Geschwindigkeit von mindestens 87 Kilometern pro Stunde - innerorts. Nach Feststellung des Gutachters wäre es trotz des Rotlicht-Verstoßes des Jungen nicht zu einem Unfall gekommen, hätte sich der Mercedes an die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 50 km/h gehalten.

Weshalb hat Mercedes-Fahrer Seyit C. (32) seinen getunten Wagen von der nur rund hundert Meter entfernten Ampelkreuzung bis zum Unfallort in Höhe Straßenbahn-Haltestelle auf diese wahnsinnige Geschwindigkeit hochgezogen?

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Diese Frage treibt Rubens Eltern seither um, beschert ihnen immer wieder schlaflose Nächte.

Neben der Unfallstelle ist ein Gedenkstein mit den Lebensdaten von Ruben ins Pflaster eingelassen.
Neben der Unfallstelle ist ein Gedenkstein mit den Lebensdaten von Ruben ins Pflaster eingelassen.  © Ralf Seegers

Mercedes-Fahrer postete immer wieder Fotos und illegales Rennvideo

Der getunte Mercedes unmittelbar nach dem Unfall - Ruben schlug in die Frontscheibe des Wagens. Einen Tag später starb er im Krankenhaus.
Der getunte Mercedes unmittelbar nach dem Unfall - Ruben schlug in die Frontscheibe des Wagens. Einen Tag später starb er im Krankenhaus.  © Einsatzfahrten Leipzig

Denn sie haben einen schlimmen Verdacht, der nicht zuletzt durch Postings des Unfallfahrers in sozialen Netzwerken befeuert wird. PS-starke Fahrzeuge und hohe Geschwindigkeiten scheinen die Leidenschaft des jungen Türken zu sein.

Nur wenige Wochen vor dem Unfall postete C. auf seinem Instagram-Profil unter den Hashtags "#e63amg" und "#320kmh" ein Video, das mutmaßlich die Instrumententafel des späteren Unfallwagens zeigt - mit einer Spitzengeschwindigkeit von 320 Kilometern pro Stunde. Wer am Steuer sitzt, ist nicht zu erkennen. Dass es der Fahrzeugbesitzer selbst ist, schließen Rubens Eltern aus der Internet-Protzerei.

Auch das Video eines illegalen Beschleunigungsrennens in einer engen Wohngebietsstraße mit eben jenem Mercedes war monatelang auf C.s Instagram-Profil zu sehen. Inzwischen ist es verschwunden, die Staatsanwaltschaft hat dennoch Ermittlungen eingeleitet.

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Für Rubens Eltern nahezu unerträglich: Nur vier Tage nach dem Tod ihres Sohnes postete der Unfallfahrer ein Bild von sich - grinsend am Steuer eines Autos. Und zwölf Tage nach dem tödlichen Unfall stellte Seyit C. ein Bild seines inzwischen reparierten Mercedes auf Instagram - mit einem kleinen Jungen, der auf der Motorhaube sitzt ...

Hauptverfahren gegen Seyit C. seit 6. Januar eröffnet, aber Prozess noch immer nicht terminiert

Die Unfallstelle am Ranstädter Steinweg kurz nach der Kollision. Im Rettungswagen kämpft der Notarzt um das Leben des jungen Ruben (16).
Die Unfallstelle am Ranstädter Steinweg kurz nach der Kollision. Im Rettungswagen kämpft der Notarzt um das Leben des jungen Ruben (16).  © Einsatzfahrten Leipzig

"Unser Kind ist tot, und er postet unmittelbar nach dem Unfall solche Fotos, das ist unfassbar", sagt Maria W.

Die Familie hat all die Bilder und Videos gesichert. Denn inzwischen ist C.s Instagram-Profil fast vollständig "bereinigt". Was daran liegen mag, dass ihn die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung angeklagt hat. Das war bereits im April 2020. Seither wartet der Fall am Amtsgericht auf seine Verhandlung.

Das Hauptverfahren sei zwar seit dem 6. Januar eröffnet, doch ein Prozess noch nicht terminiert, teilte das Amtsgericht auf TAG24-Anfrage mit. Gründe, weshalb der Fall so lange liegen bleibt, nannte das Gericht nicht.

Was Rubens Familie wütend macht: In den Ermittlungen spielte der Hang des Unfallfahrers zu Autorennen offenbar keinerlei Rolle. "Man muss sich doch die Frage stellen, ob die massive Beschleunigung unmittelbar vor dem Unfall nicht ein klarer Hinweis auf ein illegales Rennen ist", meint Matthias M.

Rubens Vater stellt dabei auf einen Wandel in der Rechtsprechung ab. So hat der Bundesgerichtshof erst im Februar festgestellt, dass eine massive Beschleunigung auf kurzer Strecke als sogenanntes "Auto-Alleinrennen" zu werten ist, mithin den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens erfüllt, wenn das Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit das Ziel des Fahrers war (BGH 4StR 225/20).

Ein Unfall mit Todesfolge wie in Leipzig wäre dann keine Fahrlässigkeit mehr, sondern eine wesentlich härter zu bestrafende Vorsatztat.

Weitere gravierende Geschwindigkeitsverstöße des Unfallwagenfahrers nach tödlichem Crash in Leipzig

Nach monatelangem Kampf mit Eingaben und Petitionen haben Rubens Eltern erreicht, dass an der Unfallstelle nun Tempo 30 gilt.
Nach monatelangem Kampf mit Eingaben und Petitionen haben Rubens Eltern erreicht, dass an der Unfallstelle nun Tempo 30 gilt.  © Ralf Seegers

Was sagt die Staatsanwaltschaft dazu? Solche Tatbestandsmerkmale seien zum Zeitpunkt der Anklageerhebung "nicht hinreichend sicher nachweisbar" gewesen, erklärt Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz auf eine TAG24-Anfrage.

Vor Gericht wollen Rubens Eltern als Nebenkläger auftreten und all ihre gesammelten Erkenntnisse, Hinweise, die gesicherten Bilder und Videos ins Verfahren einbringen. Dazu gehören auch Provokationen, die sie bei der Pflege des mit Bildern und Blumen geschmückten Gedenkgeländers am Unfallort erlebten.

"Wir suchen wöchentlich den Unfallort auf, und da ist der Täter mehrfach mit seinem Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit an uns vorbeigejagt", berichtet Maria W.

Dass Seyit C. der Führerschein bisher nicht abgenommen wurde, ist für Rubens Eltern ein weiteres Rätsel in dem Fall. Aus der Anklageschrift, die sie bereits einsehen konnten, gehe hervor, dass der Raser aufgrund charakterlicher Mängel nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei.

Allein im Unfalljahr 2019 sammelte C. den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zufolge wegen gravierender Geschwindigkeitsverstöße sechs Eintragungen im Fahreignungsregister an. Die meisten erst nach dem tödlichen Unfall.

Und was sagt der angeklagte Fahrer zu allem? Vor der Hauptverhandlung werde sich Seyit C. nicht öffentlich zu dem Unfallgeschehen äußern, erklärte sein Verteidiger im Telefonat mit TAG24.

Eines konnten Rubens Eltern immerhin schon erreichen: Nach mehreren Eingaben und Petitionen hat die Stadt inzwischen an der Unfallstelle und auf dem vorgelagerten Teilstück der Jahnallee eine Tempo-30-Zone eingerichtet.

Titelfoto: Bildmontage: Ralf Seegers, Einsatzfahrten Leipzig

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