Von Michael Schmidt
Leipzig - Mentale Gesundheit spielt eine immer größer werdende Rolle in der Gesellschaft. Für Stefan Schuster* (40, Name geändert) aus Leipzig ist jetzt aber der Worst Case eingetreten, vor dem seit Jahren gewarnt wird: Er findet keinen Psychotherapeuten.
Anfang 2025 erkrankte er an einer schweren Depression – ein Prozess, der sich erst leise anbahnte und immer größeren Raum in seinem Leben einnahm. Als er im Frühsommer zu seinem Hausarzt ging, wurde er von diesem krankgeschrieben und zu einem Psychologen bzw. Psychiater überwiesen.
Er rief die Terminservicestelle 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung an, um sich dort einen Termin geben zu lassen - mit einem Vermittlungscode, mit dem die Servicestelle innerhalb von vier Wochen einen Termin vermitteln muss. Sollte das nicht möglich sein, muss man innerhalb von sieben Tagen in einem Krankenhaus oder einer Ambulanz vorstellig werden dürfen.
Schuster wartete vier Wochen – und es kam kein Anruf. Mehr als 30 Psychiater und ebenso viele Psychologen kontaktierte er eigenverantwortlich. "Keiner nahm Neupatienten auf, Rückrufe oder beantwortete E-Mails gab es nicht", sagte er TAG24.
Wartelisten hätten eine Länge von sechs Monaten bis zu zwei Jahren – für Akutpatienten eine kaum auszuhaltende Situation.
Trotz Erhöhung der Kassensitze würde nicht jeder Patient eine Therapie bekommen
Nach sechs Wochen hatte sich sein Zustand derart verschlechtert, dass Familienmitglieder ihn in ein nahe gelegenes Fachkrankenhaus brachten. "Ich habe das in dem Moment nicht realisiert – im Nachhinein ist es das Beste gewesen."
Bei der Deutschen Depressionshilfe kennt man diese Probleme. "Es ist schlichtweg nicht hinnehmbar, dass Patienten derart lange auf Hilfe warten", ärgert sich Sprecherin Heike Friedewald. "Dennoch sollte man die 116 117 nicht generell verteufeln." Es komme offenbar auf die Region an, wie schnell Betroffene Hilfe bekommen. Das bestätigt auch die Kassenärztliche Vereinigung – verweist jedoch vor allem auf Formalitäten.
Ist der Bedarf also höher, als es niedergelassene Ärzte gibt? Laut dem Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung von 2022, zuletzt fortgeschrieben Anfang 2025, ist die ärztliche Versorgung in Leipzig mit 109 Prozent übererfüllt. Kann eine neue Vergabe sogenannter Kassensitze – also der Erlaubnis zur Abrechnung über die gesetzlichen Krankenkassen – das Problem lösen?
Bei der Deutschen Depressionshilfe ist man skeptisch. "Der Bedarf ist derart hoch, dass selbst mit einer Erhöhung der Kassensitze nicht jeder Patient eine Therapie bekommt", sagt Friedewald. Vielmehr müssten hier neuartige Therapieansätze wie Apps helfen, die Kapazitätsprobleme auszugleichen. "Diese haben bei leichten Depressionen sehr gute Ergebnisse." Dennoch sei der Gang zum Hausarzt immer die erste Wahl - in einem weiteren Schritt bieten sich laut Friedewald hier auch die psychiatrischen Institutsambulanzen an.
Leipziger Patient wartet noch immer auf Rückruf
Für Stefan Schuster blieb nur der Gang in die Klinik und eine dortige sechswöchige stationäre Therapie. Es macht ihn noch heute fassungslos, derartig hilflos gewesen zu sein. "Der Hausarzt ist kein Facharzt und agiert dementsprechend zurückhaltender. Selbst die haben keine Möglichkeiten, dringliche Termine zu ergattern."
Heute geht es Schuster besser und er kann bald wieder arbeiten. Auf den Anruf für einen Termin durch die 116 117 wartet er übrigens immer noch – fast ein halbes Jahr nach seinem ersten Kontakt.