Völkermord-Vorwurf: Israel-Debatte im Stadtrat, CDU fordert Abwahl von Migrationsbeirats-Chef
Leipzig - Der Krieg in Israel beschäftigt weiterhin den Leipziger Stadtrat. Nachdem der Vorsitzende des Migrantenbeirats Mohamed Okasha ausgerechnet am 9. November das Vorgehen Israels als Völkermord bezeichnet hatte, nutzte Oberbürgermeister Burkhard Jung (65, SPD) die Ratssitzung am Mittwoch, um klar zu den Äußerungen Stellung zu beziehen. Sowohl der OB als auch die CDU forderten dabei Konsequenzen.

Okasha hatte am Jahrestag der Reichspogromnacht auf Instagram einen Kommentar geteilt, der Israel den "Genozid an Palästinensern" vorwirft. Anschließend erklärte er in einer Stellungnahme, seine Äußerungen zu einem "unangebrachten Zeitpunkt" getätigt zu haben.
Wie die "Leipziger Volkszeitung" berichtete, tritt der Vorsitzende des Migrantenbeirats bei der Kommunalwahl 2024 im Leipziger Südwesten für die Linke an.
OB Jung hatte die Äußerungen bereits im Vorfeld als "unerträglich" bezeichnet. In der Ratssitzung erklärte er nun: "Wir müssen klar eine rote Linie bilden. Wir sind aufgerufen zu bekennen, wo wir stehen." Seine Position sei dabei klar: "Wir müssen Jüdinnen und Juden schützen. In der Schule, bei der Arbeit, am Stammtisch. Überall und ganz besonders in der Mitte unserer Gesellschaft."
Natürlich habe in Deutschland jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung. "Aber es gibt kein Recht auf Vernichtungsfantasien und mörderische Parolen. Es gibt kein Recht, alles in eine historische Suppe zu rühren und geschichtlichen Unsinn zu fabrizieren", so Jung.
Da es sich um dessen Vorsitzenden handelt, müsse sich der Migrantenbeirat mit den Vorgängen beschäftigen und Konsequenzen ziehen. "Das habe ich ihm [Mohamed Okasha] heute auch gesagt."
"Jeder Angriff auf Jüdinnen und Juden ist Antisemitismus"

Linken-Chef Adam Bednarsky beklagte in seiner Rede die Zunahme antisemitischer Straftaten in Leipzig seit Beginn des Krieges am 7. Oktober. "Für uns steht fest: Jeder Angriff auf Jüdinnen und Juden ist Antisemitismus. Keine Israel-Kritik, sondern verbrecherischer Antisemitismus."
Er verstehe, dass die humanitäre Krise im Gaza-Streifen die Menschen in Leipzig umtreibt und viele ein Zeichen der Solidarität mit den zivilen Opfern setzen wollen. "Daraus können wir keine Solidarität mit der Hamas unterstellen." Die Wut über die Opfer rechtfertige jedoch nicht, in Israel-Hass abzurutschen. Den Vorsitzenden des Migrantenbeirats benannte Bednarsky in seiner Rede nicht.
Andreas Dohrn von den Grünen mahnte im Anschluss, es sei nicht klug, unversöhnlich auf Personen einzudreschen, die eine andere Position vertreten. Mohamed Okasha sei für ihn kein Antisemit. Er habe lediglich Argumentationsmuster verwendet, die Menschen antisemitisch nutzen. "Ich kann jedoch zwischen Personen und ihren Äußerungen trennen."
Den Vorsitzenden des Migrantenbeirats halte er nicht für untragbar. Das Leid in Israel und im Gaza-Streifen sei ohnehin schon schwer in Worte zu fassen. "Gerade deshalb sollte man jedoch nicht in jeder Aussage die bösesten Absichten sehen."
CDU beantragt Abwahl, AfD fordert Konsequenzen

CDU-Fraktionschef Michael Weikert hielt es da anders und forderte Okasha auf, zurückzutreten. Das Problem sei nicht der Zeitpunkt seiner Äußerung, sondern die Haltung. "Es ist die Pflicht des deutschen Volkes und eines jeden, der einen deutschen Pass haben will, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und jüdisches Leben zu schützen", so Weikert.
Dass der Vorsitzende des Migrantenbeirats den Holocaust relativiere und die Verteidigung Israels mit Völkermord vergleiche, sei für die CDU nicht hinnehmbar und auch nicht entschuldbar. Die Christdemokraten reichten noch am Mittwoch einen Antrag zur Abwahl Okashas ein. Der Stadtrat muss sich damit bei seiner nächsten Sitzung im Dezember befassen.
Tobias Keller von der AfD machte die Migrationspolitik der vergangenen Jahre für das Erstarken des Antisemitismus in Deutschland verantwortlich. Diese habe dafür gesorgt, "dass ausländische Konflikte auf deutschem Boden ausgetragen werden", und müsse deshalb revidiert werden.
Keller forderte Konsequenzen für den Migrantenbeirat. "Wir wollen erfahren, wie viele sich zu Israel bekennen." Unter Umständen müsse der Beirat aufgelöst werden, so der AfD-Mann.
"Wer nicht bereit ist, sich differenziert zu äußern, sollte sich überlegen, auf sein Amt zu verzichten"

"Was Sie hier schon wieder gemacht haben, ist eine pauschale Verurteilung von Muslimen", kritisierte SPD-Fraktionschef Christopher Zenker die Äußerungen Kellers. Das gehe zu weit. "Ich finde das widerwärtig und unerträglich."
Es erfülle ihn mit Entsetzen, dass ein Terrorakt wie am 7. Oktober nicht von allen Seiten ohne Wenn und Aber verurteilt wird. "Die Terroristen wollten töten und ihnen waren die Opfer egal. Nach einem solchen Terrorakt gibt es kein 'Ja, aber'." Stattdessen müsse er jedoch erleben, wie der Angriff mitunter sogar bejubelt wird und wie tief Israelbezogener Antisemitismus auch in Leipzig verankert ist.
Je herausgehobener das politische Amt, desto vorsichtiger sollte man seine Worte wählen, betonte schließlich Sven Morlok von der Freibeuter-Fraktion. "Man sollte integrieren, statt Öl ins Feuer zu gießen." Er betonte auch, dass niemand gezwungen sei, ein öffentliches Amt auszuüben. "Wer nicht bereit ist, sich differenziert zu äußern, sollte sich überlegen, auf sein Amt zu verzichten."
Morlok kritisierte abschließend die Forderung der AfD nach Konsequenzen für den Migrantenbeirat. Er erinnerte an AfD-Stadtrat Roland Ulbrich, der den versuchten Massenmord an Jüdinnen und Juden 2019 in Halle einst als Sachbeschädigung abgetan hatte. "Wenn Sie Konsequenzen einfordern wollen, haben Sie Gelegenheit, in Ihren eigenen Reihen anzufangen."
Titelfoto: Hendrik Schmidt/dpa