Pannen-Premiere: Sachsens selbstfahrender Bus fährt nicht selbst!

Leipzig - Autonomes Busfahren - seit Donnerstag ist das auch in Sachsen möglich. Sollte es zumindest. Denn die Linien-Premiere des FLASH-Shuttles, der vom nordsächsischen Rackwitz aus Badegäste zum Schladitzer See chauffieren soll, fiel eher ernüchternd aus. Die Künstliche Intelligenz (KI) gerierte sich beim Test von TAG24-Reporter Alexander Bischoff als arbeitsfaule Diva ...

Der FLASH-Bus fährt die Leipziger Straße entlang. Die Seitenspiegel der am Straßenrand parkenden Autos sind im Autonomie-Modus ein Problem, weshalb die Fahrer oft eingreifen müssen.
Der FLASH-Bus fährt die Leipziger Straße entlang. Die Seitenspiegel der am Straßenrand parkenden Autos sind im Autonomie-Modus ein Problem, weshalb die Fahrer oft eingreifen müssen.  © Ralf Seegers

Es ist kurz nach 10 Uhr morgens, als ich die ÖPNV-Zukunft betrete. Ein unscheinbarer (Klein-)Bus, dessen knallige Aufschrift die einzige Auffälligkeit ist, die verrät, dass dieses Vehikel anders ist als gewöhnliche Linienbusse.

Auf der ersten Fahrt bekomme ich von Fahrerin Susan Kersten (47) eine Badetasche als Geschenk überreicht. Die ist übrig geblieben vom großen Politik- und Medienempfang am Vortag. Doch salbungsvolle Politikerworte interessieren mich nicht. Ich will hautnah erleben, was dieses Ding, in dessen Entwicklung Sachsens Politik eine knappe Million Euro investierte, wirklich kann.

Premiere - doch die Diva bockt ...

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Es ist 10.07 Uhr - die planmäßige Abfahrtszeit. Fahrerin Kersten schließt die Türen und dreht den AD-Schlüssel (Automated Driving) auf die ON-Position. Sieben Fahrgäste schauen gebannt nach vorn. Und es passiert - nichts!

"Oh, der will wohl heute nicht", ruft die Busfahrerin. Nächster Versuch. Aaah - jetzt ruckelt wie von Geisterhand das Lenkrad. Es gibt einen Ruck - und nach gefühlten 30 Zentimetern Fahrstrecke ist wieder Schluss.

"Na, dann fahren wir eben manuell los und versuchen es an der nächsten Haltestelle", sagt Kersten, gibt Gas und setzt die bockige KI von Hand in Betrieb. Der erste Halt ist die Leipziger Straße. Wieder gebanntes Warten. Und wieder mag die KI-Diva nicht von alleine losfahren. Der beherzte Tritt aufs Gaspedal setzt FLASH in Gang. "Probieren wir es am nächsten Halt ..." heißt es von vorne.

Seitenspiegel kennt er nicht

In den Straßen, die FLASH passiert, sind die Bäume extra hoch beschnitten, damit die Sensoren nicht verrückt spielen.
In den Straßen, die FLASH passiert, sind die Bäume extra hoch beschnitten, damit die Sensoren nicht verrückt spielen.  © Ralf Seegers

Unterwegs fallen die hochgeschnittenen Bäume auf. "Das ist extra so gemacht, weil sonst die Sensoren anschlagen und die Bremse auslösen würden", klärt Frau Kersten auf. Bei der alleeartigen Straße wäre das sicher lustig anzusehen ...

Generell habe sie hier schon bei den Tests oft eingreifen müssen, erzählt Kersten. Denn unser "Fläschi" kann leider die Seitenspiegel der am Straßenrand parkenden Fahrzeuge nicht erkennen. "Die hat man wohl beim Programmieren vergessen", glaubt die Busfahrerin.

Zu erleben ist das nicht - weil die Diva noch immer nicht autonom fahren will. Bis zum Schladitzer See macht Frau Kersten das, was sie gelernt hat - normal Busfahren.

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Die Rückrunde: 10.38 Uhr - Frau Kersten ist nochmal die gesamte Check-Liste durchgegangen. Alle Schalter stehen richtig. Nun muss es doch klappen. Es beginnt auch hoffnungsvoll: Das Bus-Signet auf dem Display wird grün - was prinzipielle autonome Fahrbereitschaft signalisiert. Das Lenkrad dreht sich wieder. Und "Fläschi" blinkt - von ganz allein.

Doch dann gibt‘s wieder den 30-Zentimeter-Ruck und die KI steht still. Noch einmal richtet die Fahrerin das Vehikel an der Haltestelle neu aus. Doch es nützt nichts. "Fläschi" will nicht fahren. Und wieder geht es ganz manuell los. An der Haltestelle Neuschladitz der nächste Autonomie-Versuch. Und auch der scheitert.

Ohne Fahrer geht's nicht

Sicherheitsfahrerin Susan Kersten (47) zeigt auf das Display, auf dem ein Bus-Signet verrät, ob "Fläschi" autonomiebereit oder gerade unpässlich ist.
Sicherheitsfahrerin Susan Kersten (47) zeigt auf das Display, auf dem ein Bus-Signet verrät, ob "Fläschi" autonomiebereit oder gerade unpässlich ist.  © Alexander Bischoff

Doch dann das Wunder! Haltestelle Leipziger Straße - das letzte von sechs Teilstücken steht bevor. Letzte Chance für FLASH, dem Reporter zu beweisen, dass er es doch kann, so ganz alleine. Und tatsächlich. Bus wird grün, Lenker dreht, Blinker geht an - und dann fährt er los.

Wobei es eher ein Ruckeln und Zuckeln ist. Denn "Fläschis" Fahrkünste sind vergleichbar mit denen eines Fahrschülers, der in der ersten Fahrstunde mit Kupplung und Bremse experimentiert.

Jetzt muss er links abbiegen. "Fläschi" geht in die Eisen und wartet dann. Als keine Autos mehr zu sehen sind, drückt Frau Kersten einen Knopf am Lenkrad. "Ich muss freischalten, sonst fährt er nicht los."

Ich lerne: An jeder Kreuzung und bei der Einfahrt in den Kreisverkehr muss der Fahrer das Freischalt-Knöpfchen betätigen, weil "Fläschi" andere Verkehrsteilnehmer, die sich ihm seitlich nähern, leider nicht erkennt.

KI kennt nur hartes Bremsen

Premieren-Selfie im Spiegel: Sicherheitsfahrerin Susann Kersten und Reporter Alexander Bischoff.
Premieren-Selfie im Spiegel: Sicherheitsfahrerin Susann Kersten und Reporter Alexander Bischoff.  © Alexander Bischoff

Dafür registriert die KI genau, was ihr entgegenkommt. Der Skoda beispielsweise, der für Fahrer aus Fleisch und Blut keine Gefahr darstellt, ist für die KI ein Grund, ordentlich in die Eisen zu gehen, sodass es mich nach vorn wirft. Frau Kersten schmunzelt und "Fläschi" setzt sich wieder ruckelnd in Bewegung.

Kurz vorm Bahnhof kommt uns ein Transporter entgegen, ich halte mich nun am Gestänge fest. Doch komischerweise gibt‘s diesmal keine Reaktion. Vielleicht mag die KI ja einfach keine Skodas ...

Das Fazit nach Hin- und Rückfahrt: Fünf von sechs Teilstrecken musste die Fahrerin übernehmen, weil die KI-Diva ihren Dienst verweigerte. Rund einen Kilometer bin ich autonom gefahren - wenn man angesichts des Freischalt-Knopfes überhaupt von Autonomie sprechen kann. Für kurze Strecken in der Provinz ist das Projekt als KI-Lernexperiment okay. In einer Stadt wie Leipzig wäre "Fläschi" ein Hindernis und ob seiner Fahrweise ein Garant für Auffahrunfälle ...

Titelfoto: Montage: Alexander Bischoff; Ralf Seegers

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