Wenn das Zelt zur Wohnung wird: Obdachloser schläft in der Dresdner Heide

Dresden - Schiefe Nase, leerer Blick, vom Tabak verfärbte Lippen: Das Straßenleben sieht man Florian T. (32, Name von der Redaktion geändert) an.

Nachts beim Zelten in der Dresdner Heide träumt Flo von einer richtigen Wohnung. Nur manchmal stören ihn die Wildschweine dabei.
Nachts beim Zelten in der Dresdner Heide träumt Flo von einer richtigen Wohnung. Nur manchmal stören ihn die Wildschweine dabei.  © Eric Münch

Riechen tut man es nicht. Er duscht täglich. Im Winter übernachtet er in Dresdens Kirchgemeinden. Doch den Suff-Gestank in den ökumenischen Wohnungslosen-Nachtcafés hält er kaum aus. Deswegen schläft er lieber an der frischen Luft - und zeltet in der Heide.

"Das Leben auf der Straße ist hart." Flo, wie ihn seine Freunde nennen, kennt es nicht anders. Eine eigene Bleibe hatte er noch nie. Als Obdachloser fällt er durch alle sozialen Netze. Das Gefühl, zum Bodensatz dieser Gesellschaft zu gehören, spülte er lange mit Alkohol weg. Doch seit einem Jahr ist er trocken. "Seitdem ich nicht mehr trinke, ist das Leben auf der Straße noch härter." Und der Alk-Geruch um ihn herum riecht noch penetranter.

Eigentlich träumt Flo von einem ganz normalen Leben, mit einem Job in der Garten- und Landschaftspflege und einer Wohnung, am liebsten in der Platte vom Jägerpark. "Da ist es chillig", sagt er.

Das Mehrwegflaschen-Geschäft läuft im Winter eher mau. Für seine Energy-Drinks und den Tabak reicht es gerade so.
Das Mehrwegflaschen-Geschäft läuft im Winter eher mau. Für seine Energy-Drinks und den Tabak reicht es gerade so.  © Eric Münch

Doch nach dem Hauptschulabschluss stürzte er ab. Der Jüngste von acht Geschwistern wollte nicht ins Heim, als seine Mutter an Leberzirrhose starb.

Auch Flos Leben hätte der Alkohol fast zerstört. "Im Rausch hab ich viel Scheiße gebaut." Sein Strafregister ist lang; es reicht vom Raubüberfall bis zur Körperverletzung. Flo teilte aus und steckte ein. Sechsmal war seine Nase gebrochen. Immer musste sie alleine heilen. Beim Arzt war er nie.

Todesfälle in der Szene brachten ihn zur Vernunft. Die Entscheidung für den kalten Entzug traf er von heute auf morgen. Unter den Birken, Buchen und Fichten der Dresdner Heide fand er Ruhe. Drei Tage ging er durch die Hölle. "Schwitzen, zittern, kotzen", erzählt er. Am vierten Tag fühlte er sich langsam besser.

"Seitdem ich nicht mehr trinke, hat sich viel geändert." Der Ärger mit den "Cops" hörte auf; und aus dem Bettler wurde ein Pfandflaschen-Sammler.

Flos Frühschicht endet um neun, wenn der Obdachlosen- und Bedürftigen Verein (Wiener Straße 73) öffnet. Hier ist erstmal Frisch-Machen angesagt.
Flos Frühschicht endet um neun, wenn der Obdachlosen- und Bedürftigen Verein (Wiener Straße 73) öffnet. Hier ist erstmal Frisch-Machen angesagt.  © Eric Münch

Morgens um sieben faltet er sein Zelt, versteckt es in der Heide und startet seine Tour. Mit dem Fahrrad geht's an der Elbe entlang über die Johannstadt und den Großen Garten bis nach Strehlen.

Hier kennt Flo jeden Mülleimer. Manchmal springen ihm Ratten entgegen. Angenehm ist sein Job nicht. Schon ein paarmal hat er sich verletzt. Deswegen zieht er jetzt immer einen dicken Handschuh an.

Flos Arbeitstag beginnt mit dem Gezwitscher der Lerche und dem Klopfen des Spechts; er endet, wenn Dresdens Spätshops schließen.

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Wie einst die kanadischen Trapper nimmt Flo für seine Freiheit viele Entbehrungen auf sich. "Am liebsten übernachte ich an der frischen Luft in der Heide", erzählt er. Auf seinem Bett aus Moos und Blättern darf er ein bisschen länger schlummern als in Dresdens Kirchgemeinden. Nur manchmal weckt ihn das nächtliche Gegrunze der Wildschweine.

Sonst reißt ihn hier aber niemand aus seinen Träumen von einem ganz normalen Leben...

Die Zähne stehen inzwischen auf Platz eins seiner Prioritätenliste.
Die Zähne stehen inzwischen auf Platz eins seiner Prioritätenliste.  © Eric Münch
Einmal pro Woche wäscht Flo seine Klamotten.
Einmal pro Woche wäscht Flo seine Klamotten.  © Eric Münch

Titelfoto: Eric Münch

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