Klimakrise extrem: Einer von Deutschlands größten Stauseen verkommt zur Wüstenlandschaft

Waldeck/Verden - Wer derzeit im Edersee ein erfrischendes Bad nehmen möchte, der muss zunächst eine Sand- und Steinwüste überqueren, bevor er das kühle Nass erreicht. Denn die anhaltende Trockenheit lässt den Pegel des größten Stausees Hessens immer weiter sinken und legt das Ufer frei.

Badegäste müssen im Strandbad Waldeck einen langen Weg zum Ufer in Kauf nehmen.
Badegäste müssen im Strandbad Waldeck einen langen Weg zum Ufer in Kauf nehmen.  © dpa/Uwe Zucchi

Aktuell ist das Gewässer nur noch zu einem Fünftel gefüllt. Manche Freizeitaktivitäten sind deshalb aktuell nicht mehr möglich - und das kurz nach dem Start der Sommerferien.

"Die Surfschule hat vor ein paar Tagen geschlossen. Die Passagierschifffahrt ist nur noch eingeschränkt möglich. Gleiches gilt für den Bootsverleih", sagt Claus Günther, Geschäftsführer der Edersee Marketing GmbH. Zwar gebe es bislang keine Stornierungswelle, aber die Anziehungskraft des Sees lasse spürbar nach.

"Wir merken einen geringeren Zuspruch, vor allem bei Tagesgästen." Das wirke sich auch auf die umliegenden Freizeitangebote wie den Kletterpark und die Bergbahn aus.

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Der Füllstand des Edersees liege bei rund 19 Prozent, sagt Jens Köhne vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Weser. Das Amt ist für die Bewirtschaftung der Edertalsperre im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg zuständig, die mit ihrer 48 Meter hohen Staumauer 200 Millionen Kubikmeter Wasser stauen kann.

Daten des WSA zufolge waren es zuletzt nur noch gut 37 Millionen Kubikmeter Wasser. Genutzt wird das Wasser des Edersees zur Regulierung der Weser und des Mittellandkanals. Normalerweise werden dazu 30 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abgegeben.

Rutscht der Pegel - wie derzeit - unter die Marke von 40 Millionen Kubikmeter, wird die Mindestabgabemenge auf sechs Kubikmeter pro Sekunde gedrosselt.

Viertes Niedrigwasser im Edersee nach 2018, 2019 und 2020: Millionenschäden im Wassersport-Bereich

Eine Surfschule musste aufgrund des niedrigen Wasserstandes bereits vor einigen Tagen schließen.
Eine Surfschule musste aufgrund des niedrigen Wasserstandes bereits vor einigen Tagen schließen.  © dpa/Uwe Zucchi

Das hat Folgen für die Oberweser: "Dort ist aufgrund des niedrigen Pegels derzeit keine gewerbliche und Freizeitschifffahrt mehr möglich", erklärt Köhne.

Wegen der Trockenheit habe die Abgabe in diesem Sommer schon früh gedrosselt werden müssen, erläutert er. Um die Situation zu entspannen, brauche es viel und längeren Regen. Der sei aber nicht in Sicht. "Wenn kein Regen fällt, wird der Pegel weiter sinken", prognostiziert Köhne.

Wird die kritische Marke von 20 Millionen Kubikmeter Wasser erreicht, wird die Abgabe weiter reduziert. "Dann wird nur noch abgegeben, was zufließt", erklärt Köhne. Das habe ökologische Gründe und diene etwa dem Schutz der Fische.

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Der geringe Wasserstand macht nicht nur der Schifffahrt zu schaffen. Der Edersee ist ein Touristen-Magnet. Für die Anlieger ist das Niedrigwasser schon seit Jahren ein Problem. Aktuell sei die Stimmung auf dem Tiefpunkt angekommen, sagt Winfried Geisler vom Regionalverband Eder-Diemel (RVED), einer Interessensvertretung von Kommunen, Wassersportlern, Hoteliers und Gastronomen.

Über das Niedrigwasser sagt er: "Das geschieht nach 2018, 2019 und 2020 in diesem Jahr bereits zum vierten Mal in den vergangenen fünf Jahren. Das ist einfach zu viel. Das kann die Region nicht verkraften."

Im Wassersport-Bereich hagele es Stornierungen. Boote müssten bereits jetzt zum Ferienbeginn an Land gebracht werden, damit sie nicht auf Grund laufen. Auch die Gastronomie leide. "Die Schäden gehen in die Millionen."

Schifffahrt und auch Touristik-Unternehmen leiden unter Niedrigwasser im Edersee

Ein Boot liegt in der Bringhäuser Bucht auf dem Trockenen.
Ein Boot liegt in der Bringhäuser Bucht auf dem Trockenen.  © dpa/Uwe Zucchi

"Der Klimawandel hat uns in den vergangenen Jahren schon voll erwischt", sagt Günther. "Früher war der Edersee das größte Schwimmbad Hessens. Das spiegelt sich nun nicht mehr wider." Gerade jetzt in der Hauptferienzeit sei das ein Problem und wirke sich auf den Tourismus aus. Schließlich kämen viele Gäste wegen des Edersees, von dem derzeit nicht mehr viel zu sehen sei.

Eine weitere Begleiterscheinung des Niedrigwassers ist Attraktion und Warnsignal zugleich: Infolge der Trockenheit taucht das sogenannte "Edersee-Atlantis" früher als gewöhnlich auf. Die Reste dreier aufgegebener Dörfer auf dem Seegrund seien normalerweise erst im September oder Oktober zu sehen gewesen, berichtet Günther. In diesem Jahr kämen bereits jetzt Bauwerke zum Vorschein, die sehr selten zu sehen sind - wie ein Minimodell der Edersee-Staumauer.

Der RVED fordert angesichts der angespannten Lage eine Änderung der Wasserwirtschaft. "Die Wasserentnahmen sollten vom 15. Juli bis zum 15. August eines Jahres auf die Mindestabgabemenge begrenzt werden, sofern die Marke von 125 Millionen Kubikmetern im Edersee dann unterschritten worden ist", erläutert Geisler das sogenannte "Konzept Haltelinie 125" des Verbandes.

Ziel sei es, im Einvernehmen mit der Schifffahrt Oberweser eine solche Maßnahme zu beschließen. Denn: "Ein Ignorieren der klimatischen Veränderungen und ein 'weiter so' ist unakzeptabel, zumal ja auch zu erwarten ist, dass sich der klimatische Trend weiter fortsetzt". Für 2022 sei zwar nichts mehr zu retten, sagt Geisler. "Umso wichtiger ist nun aber eine Perspektive für die nächsten Jahre."

Um die bemüht sich auch die Edersee Marketing GmbH. Man setze schon seit Jahren nicht mehr nur auf den See, sondern vermarkte die Region als Ganze, erklärt Günther. So laufe aktuell ein Zertifizierungsverfahren zur Qualitätswanderregion.

Auch die Rad-Infrastruktur werde ausgebaut. Mit Erfolg: "In diesen Bereichen verzeichnen wir einen Zuwachs an Gästen."

Titelfoto: dpa/Uwe Zucchi

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