"Aus der Zeit gefallen": Wie geht es mit Paragraf 219a weiter?

Berlin - Seit Jahren setzen sich Frauen im gesamten Land für eine Abschaffung von § 219a ein. Der untersagt es Ärztinnen und Ärzten unter Androhung von Strafe bis heute, über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren. "Aus der Zeit gefallen" nennt das Benjamin Strasser (35, FDP). Er ist die rechte Hand von Minister Marco Buschmann (44, FDP) im Justizministerium, das den Paragrafen aus vieler Frauen Sicht nun "endlich" abschaffen will. Im Gespräch mit TAG24 nannte er unseren Redakteuren seine Motive.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Benjamin Strasser (35, FDP), in seinem Berliner Bundestagsbüro im TAG24-Gespräch.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Benjamin Strasser (35, FDP), in seinem Berliner Bundestagsbüro im TAG24-Gespräch.  © Holm Helis

TAG24: Herr Strasser: Was ist der Paragraph 219a StGB und wieso will ihn das Justizministerium loswerden?

Benjamin Strasser: Der Paragraf 219a Strafgesetzbuch regelt das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Der Name ist irreführend, weil es nicht um klassische Werbung im kommerziellen Sinne geht, sondern es Ärztinnen und Ärzten in dem Paragrafen verboten ist, sachlich darüber zu informieren, welche Schwangerschaftsabbrüche sie in ihrer Praxis anbieten und was konkret darunter zu verstehen ist. Dieser Paragraf ist aus der Zeit gefallen.

TAG24: Wieso ist der Paragraf aus der Zeit gefallen?

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Strasser: Gerade in Zeiten des Internets, wo jeder alle möglichen – auch Fake News – verbreiten kann, verbieten wir es ausgerechnet den Personen, die eine medizinfachliche Ausbildung haben, über Schwangerschaftsabbrüche sachlich zu informieren.

Deswegen haben wir uns als Koalition dazu entschieden, den 219a StGB aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Das heißt aber nicht, dass wir damit grob anstößige Werbung legalisieren, es wird weiterhin eine Vorschrift im Heilmittelwerbegesetz geben, dass auch Werbung für Abtreibungen illegal bleibt. Das ärztliche Berufsrecht verbietet es ohnehin. Deswegen sehen wir die Befürchtung, die die Union hat, dass dadurch großflächig Abtreibungen beworben werden, nicht.

Was wird aus dem ebenfalls diskutierten § 218?

Neben § 219a steht auch § 218 StGB zur Diskussion.
Neben § 219a steht auch § 218 StGB zur Diskussion.  © Boris Roessler/dpa

TAG24: Was ist denn mit Paragraf 218 Schwangerschaftsabbruch? Fällt der als Nächstes?

Strasser: Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass eine Kommission eingesetzt werden soll zum reproduktiven Selbstbestimmungsrecht, in der unter anderem auch die Frage des 218 StGB diskutiert wird.

Es geht nicht darum, die Abtreibung bis zum 9. Monat zu legalisieren, sondern die Frage ist, ob ich ein gleichwertiges Schutzkonzept hinsichtlich des ungeborenen Lebens auch außerhalb des Strafgesetzbuches verankern kann oder nicht. Ich persönlich bin da sehr skeptisch, vor allem wenn ich mir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) anschaue.

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TAG24: Wieso?

Strasser: Das BVerfG wertet auch das Schutzgut des ungeborenen Lebens sehr hoch und hat bestimmte Lösungen aus der Vergangenheit als verfassungswidrig verworfen. Deswegen bin ich skeptisch, ob es am Ende des Tages zu einer Streichung von 218 StGB kommt. Aber wir wollen uns dem sehr umfassend in dieser Kommission widmen, nicht nur in der Frage der Abtreibungen, sondern eben auch anderer reproduktiver Fragen.

TAG24: … die noch eingerichtet werden muss?

Strasser: Die noch eingerichtet werden muss. Wir schauen uns als Justizministerium aber vor allem die Ergebnisse der Kommission sehr genau an.

Für Jura-Nerds: § 218 und 219a im vollständigen Wortlaut

§ 218 Schwangerschaftsabbruch

(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

  • 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder
  • 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.

(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.

§ 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise

  • 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
  • 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung

anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder aufgrund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.

(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird.

(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen

  • 1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder
  • 2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen.

Titelfoto: Wolfgang Kumm/dpa

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