Kampf um Berlins Straßen: So will ein Experte den Konflikt zwischen Rad- und Autofahrern entschärfen

Berlin - Der Umgang mit der Infrastruktur für Fahrradfahrer sorgt für dicke Luft in der Hauptstadt. Einige Projekte wurden gestoppt, andere sollen doch weiterlaufen. Ein Hin und Her, das Gegner der CDU-Pläne auf die Barrikaden bringt. Wir haben mit einem Experten über die Lage in Berlin gesprochen.

Changing Cities, Respect Cyclists und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) demonstrieren am 17. Juli für gute Radwege in Berlin.
Changing Cities, Respect Cyclists und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) demonstrieren am 17. Juli für gute Radwege in Berlin.  © Fabian Sommer/dpa

Heiner Sothmann (39), der jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, ist Verkehrsexperte und Pressesprecher der Bürgerinitiative Deutsche Verkehrswacht. Der Verein beobachtet seit 1924, was auf den Straßen der Bundesrepublik passiert. Im Fokus der Arbeit steht, dass Menschen in allen Lebenslagen verkehrssicher unterwegs sind.

So auch in Berlin, wo gerade ein heftiger Streit um die Verkehrspolitik von Manja Schreiner (45, CDU) entbrannt ist. Der Experte hat dazu eine klare Meinung:

"Grundsätzlich zu sagen, wir stampfen erstmal alles ein, ist natürlich falsch. Ich denke aber, bei einzelnen Projekten darf man durchaus einen Schritt zurückgehen, um sie besser, neuer zu denken. Nur ausgereifte Projekte können die Verkehrssicherheit nicht gefährden."

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Der Pressesprecher sieht neben dem eigens notwendigen fehlerfreien Verhalten der Radfahrer auch sichere Rahmenbedingungen als eine der Voraussetzungen für eine Verbesserung der Situation.

Symbolpolitik in Berlin: Qualität der Radwege leidet unter dem Wahlkampf der Politiker

Manja Schreiner (45, CDU, l.) und Bettina Jarasch (54, Grüne, r.), ehemalige Verkehrssenatorin Berlins, gehen bei dem Ausbau der Berliner Infrastruktur unterschiedlich vor.
Manja Schreiner (45, CDU, l.) und Bettina Jarasch (54, Grüne, r.), ehemalige Verkehrssenatorin Berlins, gehen bei dem Ausbau der Berliner Infrastruktur unterschiedlich vor.  © Wolfgang Kumm/dpa/ Monika Skolimowska/dpa (Bildmontage)

Beim Ausbau der Fahrradwege komme es darauf an, dass die Projekte ganzheitlich betrachtet werden und nicht nur symbolpolitisch, wie es im Wahlkampf und danach teilweise der Fall gewesen sei, wie Sothmann beobachten konnte.

"Es kommt darauf an, ob man es als Signal behandelt oder ganz konkret auf die Situation bezogen", sagt Sothmann und merkt weiter an: "Es mag durchaus sein, dass einzelne Projekte in der Umsetzung auch nicht weit genug gedacht waren und vielleicht auch aus politischen Gründen bestimmte Projekte eher forciert wurden, weil man es eben im Zuge der Nachwahl in Berlin brauchte."

Dabei denkt der Experte vor allem an die Friedrichstraße, die gerade während des Wahlkampfs auch ein großes Thema gewesen ist.

Radwege, die die Sicherheit der Berliner gefährden

Die Elterngruppe "Jetzt oder Nie - Eltern gegen die Fossilindustrie" schließt sich dem Protest der Letzten Generation an, die sich gegen die Öffnung der Friedrichstraße für den Autoverkehr auf die Straße kleben.
Die Elterngruppe "Jetzt oder Nie - Eltern gegen die Fossilindustrie" schließt sich dem Protest der Letzten Generation an, die sich gegen die Öffnung der Friedrichstraße für den Autoverkehr auf die Straße kleben.  © Annette Riedl/dpa

Auch aktuell steht die Friedrichstraße für die Symbolpolitik des Senats. Erst am 3. Juli gab es dort einen Protest mit Bobbycars, weil die Straße wieder für den Autoverkehr zugelassen wurde.

Aus der Sicht des Pressesprechers der Deutschen Verkehrswacht, der regelmäßig dort vorbeimuss, wurde dort einiges nicht gut durchdacht:

"Da hat man aber auch, wenn Sie mich fragen, nicht ganzheitlich gedacht. Ich habe selbst gesehen, was es da für Probleme gab."

Einerseits findet Sothmann die Förderung der Berliner Radinfrastruktur richtig und auch sehr wichtig. Andererseits habe man dabei aber auch Fehler gemacht, die neben Radfahrern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährden.

Ein solches Beispiel ist sicherlich ein Pop-up-Radweg in der Kantstraße. Hier wurde am Brandschutzkonzept vorbei gebaut. Darüber berichtete auch der Tagesspiegel am 17.7.2021. Für den 39-Jährigen vollkommen unverständlich. Ihm fällt auf Anhieb noch ein weiteres Beispiel ein:

"Es gibt ein unschönes Beispiel direkt auf meinem Arbeitsweg. Wenn Sie Protected Bike Lanes entlang fahren - herrlich, aber die hören dann nach 200 Metern auf und danach findet man eine sehr unsichere Situation vor. Da müssen dann entweder Rechtsabbieger rüber und dann kommt noch der ÖPNV, wo man vorbeimuss."

Wichtig sei vor allem, dass beim Ausbau Konfliktpunkte zwischen Rad- und Autofahrern entschärft werden.

Auto vs. Rad: So könnten mögliche Lösungen aussehen

Die Pop-up-Radwege waren nach Meinung des Experten ein Segen für die Radfahrer.
Die Pop-up-Radwege waren nach Meinung des Experten ein Segen für die Radfahrer.  © Carsten Koall/dpa

Die Interessenkonflikte zwischen Autofahrern, Radfahrern und den anderen Verkehrsträger zu entschärfen, ist keine leichte Aufgabe. Sothmann weiß aber, was eine mögliche Lösung beinhalten sollte:

"Die leichteste Maßnahme, dass zu erreichen, ist die Trennung der Verkehrsträger. Das heißt, Radverkehr, Fußverkehr und Autoverkehr", sagt der 39-Jährige im Interview mit TAG24.

Das hieße nach Sicht des Experten in der konkreten Umsetzung, dafür zu sorgen, dass Rad-, Bus- und Autoverkehr nicht zusammen sind. In der Theorie geht das auf verschiedene Art und Weise.

An einer Kreuzung beispielsweise dynamisch, wie der Pressesprecher erzählt: "Indem man geteilte Ampelschaltungen hat. Also im dynamischen Sinne erst der Radverkehr, dann der Fußverkehr und dann noch der Autoverkehr. Dann kommen die sich nicht in Quere. Oder eben räumlich."

Räumlich heißt, wie Sothmann erklärt, eine sichere Infrastruktur, die einen gewissen Standard hat.

"Was in Berlin manchmal als Radweg verkauft wird, da fasse ich mir an meinen Helm", gesteht der Verkehrsbeobachter, betont aber im gleichen Atemzug, dass er keinem Verkehrsplaner hereinreden wolle.

Und auch wenn die Planung langwierig, nicht immer einfach und auch teuer ist, hieße das aus seiner Sicht nicht, dass erstmal alle Projekte eingestampft werden sollten.

Denn schließlich waren einige dieser Projekte nach Meinung des 39-Jährigen gut und sinnvoll.

Titelfoto: Carsten Koall/dpa

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