Familienministerin Lisa Paus: "Bei vielen Menschen ist die Lunte inzwischen ein bisschen kürzer"

Berlin - Hört man in den Medien den Namen von Familienministerin Lisa Paus (55, Grüne), geht es meist um die Kindergrundsicherung. Doch was stehen aktuell noch für Projekte im Haus der Wahl-Berlinerin auf der Agenda? TAG24 hat vor Ort für Euch nachgefragt.

Familienministerin Lisa Paus (55, Grüne) im TAG24-Interview.
Familienministerin Lisa Paus (55, Grüne) im TAG24-Interview.  © Christian Kielmann

TAG24: Frau Paus, wie schwierig ist es in Zeiten multipler Krisen, für die eigenen Themen Gehör zu finden?

Lisa Paus: Die Themen meines Hauses sind vielleicht nicht jeden Tag in den Headlines, aber sie betreffen die Menschen sehr direkt. Alles, was wir im Familienministerium anpacken, zielt darauf ab, Menschen zu stärken und so dafür zu sorgen, dass sie gut auch durch eine Zeit der Krisen kommen.

TAG24: Bestimmen die Corona-Nachwirkungen noch regelmäßig den Berufsalltag der Familienministerin?

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Paus: Gerade im Rahmen unserer Kinder- und Jugendarbeit spielt das natürlich weiter eine Rolle. Wir haben zum Beispiel die "Mental Health Coaches" auf den Weg gebracht: Im Rahmen eines Pilotprojektes an Schulen unterstützen Sozialpädagogen die Kinder und Jugendlichen in ihrer mentalen Gesundheit.

Außerdem wollen wir als Bundesregierung eine Sonderzulassung für Kinder- und Jugendpsychotherapeuten auf den Weg bringen, weil wir wissen, dass die Wartelisten da lang sind.

TAG24: Gibt es auch Bemühungen im Bereich des Konfliktmanagements?

Paus: Bei vielen Menschen ist wegen der Krisen die Lunte inzwischen ein bisschen kürzer. Aber es ist wichtig zu wissen, wie man Konflikte lösen kann, ohne dass gleich die Fäuste fliegen.

Deswegen unterstützen wir beispielsweise die "Respekt Coaches", die an Schulen helfen, Konflikte respektvoll zu lösen.

Lisa Paus: "Demokratie ist doch etwas Wunderbares"

Chefreporter Politik Paul Hoffmann (31) traf Paus in ihrem Büro.
Chefreporter Politik Paul Hoffmann (31) traf Paus in ihrem Büro.  © Christian Kielmann

TAG24: Eines Ihrer Herzensprojekte ist das Programm "Demokratie leben!". Kurz erklärt, worum geht’s dabei?

Paus: Eine Demokratie mit all ihren Vorzügen für jeden Einzelnen funktioniert nur, wenn sie im Alltag und vor Ort gelebt wird.

Hier greift das Programm mit Projekten zur Extremismusprävention, Teilhabe und Demokratieförderung. Wir unterstützen aber beispielsweise auch, wenn Menschen aus extremistischen - egal ob aus islamistischen, rechts- oder linksextremistischen - Kreisen aussteigen wollen, und wir helfen Opfern von extremistischer Gewalt.

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TAG24: Dennoch gibt es in der Öffentlichkeit jede Menge Kritik an "Demokratie leben!" …

Paus: Ich erlebe vor allem viel Zustimmung für die wichtige Arbeit der vielen Engagierten aus der Zivilgesellschaft. Ich bin aber tatsächlich überrascht, dass von manchen grundsätzlich infrage gestellt wird, ob wir das aktive Arbeiten für die Demokratie als Staat unterstützen sollten. Ich sage da ganz klar:

Natürlich ist es auch staatliche Aufgabe, Extremismus zu bekämpfen und Teilhabe sowie die Demokratie zu stärken.

TAG24: Ihr Standpunkt ist also, dass wir als Gesellschaft aktiv für die Demokratie eintreten?

Paus: Natürlich. Demokratie ist doch etwas Wunderbares. Niemand muss Angst haben, seine Meinung zu sagen, jeder hat Rechte, die er oder sie vor Gericht einklagen kann. Das bietet keine andere Regierungsform.

Die Menschen selbst sind es, die entscheiden, wer die Macht bekommen soll. Wir würden uns doch selbst schaden, wenn wir das leichtfertig wieder aufs Spiel setzen würden.

Familienministerin sagt der Einsamkeit den Kampf an

Auch der Kampf gegen die Einsamkeit steht bei Paus auf der Agenda.
Auch der Kampf gegen die Einsamkeit steht bei Paus auf der Agenda.  © dpa/Jan Woitas

TAG24: Demokratie stärken ist wichtig und richtig. Doch was bringt es, den Menschen die Vorzüge aufzuzählen, wenn sie tagtäglich von Regierung und Co. enttäuscht sind, weil vor ihrer Haustür nicht einmal regelmäßig ein Bus fährt? Sollte man nicht erst einmal da ansetzen?

Paus: Selbstverständlich. Eine Regierung, die auf die Probleme in meinem direkten Umfeld reagiert, ist natürlich immer besser als eine, die das nicht tut. Deshalb sind alle aufgefordert, zu schauen, wo etwas besser laufen kann.

Auch meine Regierung kann Dinge besser machen. Wichtig ist aber: Schlechte und gute Politik sollte man innerhalb der Demokratie lösen. Das ist keine Systemfrage.

TAG24: Ein weiterer Punkt Ihrer Arbeit ist das Thema Einsamkeit …

Paus: Als Bundesregierung haben wir erstmals eine Einsamkeitsstrategie mit sehr konkreten Maßnahmen verabschiedet. Zudem wird es in diesem Jahr, ebenfalls zum ersten Mal, ein Einsamkeitsbarometer geben. Das wird zeigen, wie wichtig die Arbeit an dem Thema ist. Einsamkeit ist für den Einzelnen nicht gut, kann zu gesundheitlichen Problemen wie Depressionen führen.

Sie ist aber auch für uns als Gesellschaft nicht gut, weil sich Einsame von ihrer Umgebung verlassen und verraten fühlen. Sie ziehen sich enttäuscht zurück und vertrauen dann auch weniger in die Demokratie.

Paus: "Beim Blick auf Grundschulen ist das Glas eher halb leer als halb voll"

Beim Thema Ganztagsangebote an Schulen gibt es vor allem im Westen noch viel Nachholbedarf.
Beim Thema Ganztagsangebote an Schulen gibt es vor allem im Westen noch viel Nachholbedarf.  © dpa/Sebastian Gollnow

TAG24: Kommen wir zu den Kleinsten unserer Gesellschaft. Was tut Ihr Haus da aktuell, dass es denen besser geht?

Paus: Gemeinsam mit den Ländern fördern wir beispielsweise den Ausbau von Ganztagsangeboten. Beim Blick auf Grundschulen ist das Glas eher halb leer als halb voll. Gerade einmal die Hälfte von ihnen sind Ganztagsschulen. Das muss sich ändern.

TAG24: Eine fast schon unverständliche Aussage für einen Ostdeutschen, wo der Hort seit Generationen wie selbstverständlich dazugehört!

Paus: Es gibt einen deutlichen Ost/West-Gegensatz, da haben Sie recht und das gehen wir als Bund an, indem wir die Länder beim Ausbau der Angebote unterstützen. Aber es gibt noch ein anderes wichtiges Thema, um das wir uns kümmern, über das aber nicht gerne geredet wird.

TAG24: Welches?

Paus: Die Hospiz- und Palliativversorgung. Sie ist ein zentrales Thema, wenn wir auf die demografische Entwicklung unserer Kommunen schauen - gerade im ländlichen Raum. Ambulant funktioniert das nicht immer, wie es sollte.

Mir ist im Zusammenhang mit der Infrastruktur für ältere Menschen aber auch wichtig, dass Senioren auf dem Land nicht von der gesellschaftlichen Teilhabe abgehängt werden.

Titelfoto: PR/Lisa Paus

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