Wolfgang Schäuble: Wer ihn zum Sturz von Angela Merkel überreden wollte

Berlin - Die Flüchtlingskrise sorgte innerhalb der Union für Spannungen. In seinen Memoiren, die nun nach seinem Tod veröffentlicht werden, schildert Wolfgang Schäuble (†81) Überlegungen für einen Sturz der damaligen Kanzlerin.

Wolfgang Schäuble (†81) wurde in seiner Heimatstadt Offenburg beigesetzt.
Wolfgang Schäuble (†81) wurde in seiner Heimatstadt Offenburg beigesetzt.  © Bernd von Jutrczenka/dpa

Der gestorbene CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat von Bemühungen des ehemaligen CSU-Chefs Edmund Stoiber (82) erzählt, ihn in der Flüchtlingskrise zu einem Sturz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (69) zu bewegen.

In vom "Stern" am Mittwoch veröffentlichten Auszügen schildert Schäuble, die Lage in der Union sei im Herbst 2015 schwierig geworden.

"Höhepunkt war der CSU-Parteitag, als der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende (Horst Seehofer) der Kanzlerin wie einem Schulmädchen die Leviten las", heißt es dort.

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"Inzwischen wurde auch Edmund Stoiber aktiv und feuerte Seehofer, seinen Nach-Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, in dessen Attacken gegen Merkel an. Und mich wollte er dazu bewegen, Merkel zu stürzen, um selbst Kanzler zu werden."Er habe das entschieden abgelehnt, schreibt Schäuble.

"Wie Jahrzehnte zuvor bei Kohl blieb ich bei meiner Überzeugung, dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristig nur schaden könnte, ohne das Problem wirklich zu lösen. Das war mein Verständnis von Loyalität, das nach heutigen Maßstäben vielleicht ein wenig antiquiert erscheint."

In der Flüchtlingskrise äußerte Wolfgang Schäuble wiederholt Kritik an Merkels Kurs

Edmund Stoiber (82) war von 1993 bis 2007 bayerischer Ministerpräsident und von 1999 bis 2007 Vorsitzender der CSU. Er versuchte Schäuble zum Sturz von Merkel zu bewegen.
Edmund Stoiber (82) war von 1993 bis 2007 bayerischer Ministerpräsident und von 1999 bis 2007 Vorsitzender der CSU. Er versuchte Schäuble zum Sturz von Merkel zu bewegen.  © Sven Hoppe/dpa

In den vom "Stern" veröffentlichten Passagen bekräftigt der im Dezember gestorbene Schäuble seine grundsätzliche Unterstützung für Merkels Entscheidung, im Herbst 2015 die deutschen Grenzen für Flüchtlinge offen zu halten, äußerte aber auch Kritik an ihrem Handeln bei dem Thema.

"Als die Kanzlerin am 4. September 2015 die im Rückblick für diese Krise zentrale Entscheidung traf, die Grenzen angesichts der katastrophalen Zustände am Bahnhof von Budapest, wo Flüchtlinge zu Tausenden gestrandet waren, weiterhin offen zu halten, fand ich dies aus humanitären und europapolitischen Gründen richtig", schreibt er.

Er habe Merkel nach Kräften unterstützt und auch ihren Satz "Wir schaffen das" habe er richtig gefunden. "Das waren starke Statements. Sie hätten eben nur von einer Vielzahl weiterer Maßnahmen und Anstrengungen begleitet werden müssen, um zu verdeutlichen, dass diese einmalige Notmaßnahme unwiederholbar war."

Was hätte er ändern wollen?

Im Unterschied zur Kanzlerin habe er es für richtig gehalten, "den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenken und klarzumachen, dass der Einsatz für die Flüchtlinge eben auch mit Kosten und Opfern verbunden ist".

Er sei gelegentlich frustriert darüber gewesen, "dass Merkel in mancherlei Hinsicht beratungsresistent blieb. Nach meiner Einschätzung hätte sie ganz andere Möglichkeiten gehabt, um wirklich politisch zu führen und nicht nur zu reagieren".

Angela Merkel (69) war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin von Deutschland.
Angela Merkel (69) war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin von Deutschland.  © Markus Schreiber/AP-Pool/dpa

Das Schäuble-Buch "Erinnerungen. Mein Leben in der Politik" erscheint kommende Woche. Der CDU-Politiker war am zweiten Weihnachtstag im Alter von 81 Jahren gestorben. Schäuble war in seiner langen politischen Karriere Kanzleramtschef, Bundesinnen- und Finanzminister, CDU-Vorsitzender und Bundestagspräsident gewesen. Zuletzt war er einfacher Abgeordneter im Bundestag, dem er 51 Jahre lang angehörte - so lange wie kein anderer Abgeordneter in der deutschen Parlamentsgeschichte.

Titelfoto: Bernd von Jutrczenka/dpa

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