Blutige Proteste im Iran: Uni-Wissenschaftlerin erklärt die wichtigsten Hintergründe

Dresden - Seit zwei Wochen gibt es im Iran teils blutige Proteste gegen das dortige Regime. Ausgelöst worden die durch den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die wenige Tage nach einer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei gestorben war. Im Interview erklärt TU Dresden (50) die Hintergründe der aktuellen Entwicklung und inwieweit sich das System im Iran dadurch verändern könnte.

Die Inderin Prof. Dr. Nikita Dhawan (50) ist Politikwissenschaftlerin an der TU Dresden.
Die Inderin Prof. Dr. Nikita Dhawan (50) ist Politikwissenschaftlerin an der TU Dresden.  © TU Dresden

Was war der Auslöser der Proteste im Iran?

Prof. Nikita Dhawan: Am 16. September 2022 wurde die 22-jährige Kurdin Mahsa Amini von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen, weil sie durch das Tragen eines "unpassenden" Kopftuches gegen die Kleiderordnung verstoßen habe.

Sie starb in einem Teheraner Krankenhaus unter ungeklärten Umständen. Laut Polizei soll sie einen Herzinfarkt gehabt haben, jedoch berichteten Zeugen, dass sie an einer Hirnblutung infolge von Polizeigewalt starb. Medizinische Aufnahmen, die dazu bekannt wurden, scheinen dies zu bestätigen. Das löste landesweit eine Serie von Großprotestaktionen aus.

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Sind das die ersten Proteste dieser Art im Iran?

Dhawan: Im Iran gibt es eine langjährige Geschichte des Widerstands gegen die Verschleierung. Nach der Revolution, die zum Sturz des Schahs Mohammad Reza Pahlavi führte, ergriff Ayatollah Ruhollah Khomeini die Macht. Dieser verordnete am 7. März 1979, dass alle Frauen einen sogenannten Hidschab tragen müssten.

Am Folgetag, dem Internationalen Frauentag, gingen Zehntausende unverschleierte Frauen auf die Straßen. Seitdem gab es regelmäßige Demonstrationen gegen die Pflicht zum Tragen eines Hidschabs.

Können Proteste den Iran nachhaltig verändern?

Im Iran gingen zuletzt Tausende Menschen auf die Straßen. Dutzende starben dabei.
Im Iran gingen zuletzt Tausende Menschen auf die Straßen. Dutzende starben dabei.  © Uncredited/AP/dpa

Ist es vor allem die junge iranische Generation, die aktuell protestiert?

Dhawan: Mehr als 60 Prozent der 80 Millionen Einwohner Irans sind jünger als 30 Jahre. Iranerinnen bilden mehr als 60 Prozent aller Studienanfänger. Berichten zufolge sind die Demonstrationen dezentral organisiert, aber von jungen Frauen angeführt.

Als Zeichen ihres Protests verbrannten viele von ihnen ihr Kopftuch und ließen sich die Haare abschneiden. Universitäten wie die namhafte Scharif-Universität für Technologie in Teheran dienen als wesentliche Orte der studentischen Mobilisierung und werden daher von Sicherheitskräften ins Visier genommen.

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Könnten die Proteste zu einem Sturz des iranischen Systems führen?

Dhawan: Trotz weit verbreiteter Medienberichterstattung und Unterstützung lässt sich ein Mangel an stimmigen Führungs- und Koordinierungskräften erkennen. Auch die ausbleibende militärische Unterstützung und die vollkommene Stilllegung digitaler Dienste können den Ausgang der Proteste erheblich beeinträchtigen. Gleichwohl sind der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Fall der Berliner Mauer gute Beispiele für die Unberechenbarkeit von Protestbewegungen.

Wie könnten die Proteste die iranische Gesellschaft nachhaltig verändern?

Dhawan: Die Bürgeraufstände in Sri Lanka im Frühjahr dieses Jahres führten zur Beseitigung eines korrupten und autoritären Regimes. Forschungsdaten zufolge führen Aufstände, die mehrheitlich von Frauen geführt werden, oft zu wesentlichen Veränderungen.

Hintergrund: Nikita Dhawan ist seit 1. Oktober 2021 Inhaberin der Professur für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte. Nikita Dhawans Forschungs- und Interessenschwerpunkte liegen in den Bereichen der Globalen Gerechtigkeit, der Menschenrechte sowie der Demokratie und Dekolonisierung.

Titelfoto: Montage: TU Dresden & Uncredited/AP/dpa

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