Wir frieren, Putin macht weiter Krieg: Schaden die Sanktionen vor allem uns selbst?

Deutschland - Gestiegene Energiepreise, Verteuerungen in fast allen Lebensbereichen, Gaskrise und drohende Rezession: Die Sanktionen gegen Russland scheinen uns wie ein Bumerang fast genauso hart zu treffen.

Wenn Putin den Befehl gibt, den Gashahn zuzudrehen, könnte der Winter für uns hart werden.
Wenn Putin den Befehl gibt, den Gashahn zuzudrehen, könnte der Winter für uns hart werden.  © imago images/Russian Look

Unternehmen und Bürger sind getrieben von Existenzängsten.

Sollten wir also lieber die Sanktionen beenden? Oder wäre das moralisch verwerflich?

Wir fragten Protagonisten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ...

Auch unsere eigene Wirtschaft ist betroffen

Politikwissenschaftler Werner Patzelt.
Politikwissenschaftler Werner Patzelt.  © imago/Future Image

"Wenn man Abkommen außer Kraft setzt, die einst zum wechselseitigen Vorteil geschlossen wurden, dann schadet das natürlich beiden Seiten", sagt Politikwissenschaftler Werner Patzelt.

"Im Übrigen schmerzten uns die EU-Sanktionen viel weniger, wenn in den letzten Jahren Deutschland eine vernünftigere Energiepolitik und die Europäische Zentralbank keine inflationsfördernde Geldpolitik betrieben hätte."

Allerdings würde die "westliche soziale Marktwirtschaft die Folgeschäden der Sanktionspolitik langfristig besser wegstecken als die russische oligarchische Staatswirtschaft", so Patzelt weiter.

Welche Auswirkungen haben also die Sanktionen?

Der ifo-Experte Joachim Ragnitz.
Der ifo-Experte Joachim Ragnitz.  © Thomas Türpe

"Die westlichen Sanktionen und insbesondere die russischen Reaktionen hierauf – Drosselung der Energielieferungen – haben zu einem enormen Kostenschock für die deutsche Wirtschaft geführt. Spürbar ist dies insbesondere an den Preisen für Gas und Elektrizität, die in schwindelerregende Höhen geklettert sind und damit sowohl die Inflation in Deutschland anheizen als auch bisherige Geschäftsmodelle obsolet werden lassen. Das wiederum ist gleichbedeutend mit starken Wohlstandsverlusten – die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sind schon jetzt auf das Niveau des Jahres 2017 zurückgefallen", erklärt ifo-Experte Joachim Ragnitz.

Wie stark die sächsischen Unternehmen betroffen sind, darüber soll eine IHK-Befragung im Rahmen der Herbstkonjunkturumfrage im September Auskunft geben.

Klar ist aber: "Selbstredend belasten die seit Kriegsbeginn gestiegenen Strom- und Gaspreise so gut wie alle Wirtschaftsbereiche, energieintensive Branchen teils existenziell. Hinzu kommt eine große Unsicherheit hinsichtlich der Versorgungssicherheit", sagt IHK-Präsident Dr. Andreas Sperl.

Und auch die sächsischen Bürger treibt es um

Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen.
Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen.  © Johannes Waschke/ PR

Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen: "Dies wird sich bis in die Mittelschicht auswirken. Unsere Beratungsstellen werden täglich mit den Herausforderungen von Preissteigerungen bis zu 500 Prozent konfrontiert."

Sollte es in den Wintermonaten zu einer Gasknappheit kommen, sei schließlich "eine Rezession nicht mehr zu vermeiden", schildert Ragnitz.

"Selbst die jetzt hastig zusammengeschusterten Ersatzlösungen können nicht verhindern, dass die Energieversorgung künftig teurer sein wird als in der Vergangenheit. Die Wohlstandsverluste sind insoweit dauerhaft, und es ist auch nicht auszuschließen, dass einige energieintensive Produktionen in Deutschland künftig nicht mehr aufrechterhalten werden können."

Hoffnungsschimmer: "Aber auch eine wirtschaftliche Schwächephase ist kein Weltuntergang. Mittelfristig wird man damit rechnen können, dass aufgrund von Produktivitätssteigerungen auch wieder ein höheres Wachstum erreicht werden kann", so Ragnitz.

Sanktionen allein haben es historisch selten gebracht

Napoleon wollte zu viel, deshalb funktionierte seine Sanktionspolitik nicht.
Napoleon wollte zu viel, deshalb funktionierte seine Sanktionspolitik nicht.  © wikipedia

Gab es in der Geschichte schon jemals den Fall, dass Sanktionen einen Gegner in die Knie gezwungen haben?

"Das chinesische Reich konnten die Europäer im 19. Jahrhundert durch politische und wirtschaftliche Sanktionen erniedrigen – doch nur, weil hinter diesen auch Europas bereitwillig eingesetzte militärische Überlegenheit stand", erläutert Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt.

"Napoleons Kontinentalsperre gegen England nutzte allerdings schon mittelfristig nichts, weil der Franzosen-Kaiser seine militärischen Möglichkeiten überreizte."

Er schlussfolgert: "Um erfolgreich zu sein, können politische und wirtschaftliche Sanktionen militärische Machtanwendung immer nur flankieren, nie aber ersetzen."

Titelfoto: Bildmontage: imago images/Russian Look & imago/Future Image & Thomas Türpe & Johannes Waschke/ PR

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