Zehn Anschläge seit 2016 in Deutschland, doch Faeser lehnt weitere Islamismus-Untersuchung ab

Berlin - Der vom Bundesinnenministerium ins Leben gerufene Expertenkreis Politischer Islamismus soll seine Arbeit nicht fortsetzen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52, SPD) will sich statt auf die Gefährdung durch Islamismus in Deutschland lieber auf Rechtsextremismus konzentrieren.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52, SPD) will sich statt auf die Gefährdung durch Islamismus in Deutschland lieber auf Rechtsextremismus konzentrieren.  © Christian Charisius/dpa

Das Gremium war im Juni 2021 ins Leben gerufen worden. Mitglieder berichteten der Deutschen Presse-Agentur am Wochenende, Vertreter der Abteilung Öffentliche Sicherheit des Ministeriums hätten ihnen in einer Videokonferenz mitgeteilt, dass an einer Verstetigung der gemeinschaftlichen Tätigkeit des Expertenkreises kein Interesse bestehe.

Diese Entscheidung "bestürzt mich", sagte der Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans. Die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, warnte: "Wir haben so viele Probleme in Schulen."

In manchen Milieus sei eine "totale Ablehnung der deutschen Gesellschaft" festzustellen.

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All dies müsse "behandelt und eingefangen werden".

Das Bundesinnenministerium äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht zu den Gründen für die Entscheidung. Kostengründe könnten es nicht gewesen sein, sagte der Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz. Denn die Experten hätten für ihre Teilnahme an den aufgrund der Corona-Pandemie meist virtuellen Sitzungen des Gremiums kein Geld erhalten.

Es sei zwar formal richtig, dass die Arbeit des sehr heterogen besetzten Expertenkreises ursprünglich erst einmal für ein Jahr angelegt gewesen sei.

Er habe dennoch den Eindruck, dass dies eine "politische Entscheidung" sei. Die Fokussierung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52, SPD) auf den Rechtsextremismus halte er zwar nicht für falsch, sagte Schwarz. Andere relevante Phänomene dürften aber nicht vernachlässigt werden.

"Höhepunkt einer Politik des Wegsehens"

20. Dezember 2016: Ein islamistischer Attentäter raste mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.
20. Dezember 2016: Ein islamistischer Attentäter raste mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.  © Bernd von Jutrczenka/dpa

In einem schriftlichen Vorschlag, der in dem Expertenkreis entwickelt wurde, heißt es: "Trotz zahlreicher präventiver Anstrengungen und Maßnahmen gelingt es nicht, die Attraktivität und Anziehungskraft des politischen Islamismus (insbesondere für junge Menschen) einzudämmen."

Deshalb seien weitere Forschungsanstrengungen notwendig. Dazu gehöre unter anderem die Entwicklung von Erhebungsinstrumenten für die quantitative und qualitative Erforschung auch des nicht gewaltbereiten Islamismus.

Die Auflösung des Expertenkreises sei "der vorläufige Höhepunkt einer Politik des Wegsehens und der Ignoranz gegenüber dem Islamismus als demokratiegefährdenden Phänomen", kritisierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries (47).

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"Man kann nur hoffen, dass uns diese Naivität nicht eines Tages böse auf die Füße fällt", sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Carsten Linnemann (45).

Laut Verfassungsschutz wurden im Jahr 2021 fallen 28.290 in Deutschland lebende Personen in den Bereich "Islamismus/islamistischer Terrorismus". Größte Gruppe mit mehr als 11.000 Personen sind die Salafisten.

Anschläge in Deutschland seit 2015

Kriminaltechniker und die Tatortgruppe des LKA Sachsen sichern Spuren am Tatort nach einer tödlichen Messerattacke auf zwei Touristen durch einen Sympathisanten des IS.
Kriminaltechniker und die Tatortgruppe des LKA Sachsen sichern Spuren am Tatort nach einer tödlichen Messerattacke auf zwei Touristen durch einen Sympathisanten des IS.  © Roland Halkasch/dpa

6. November 2021: Ein 27-jähriger Syrer greift in einem Zug zwischen Regensburg und Nürnberg drei Passagiere mit einem Messer an. Drei Verletzte.

4. Oktober 2020: Ein 20-jähriger Syrer attackiert in der Dresdener Altstadt zwei Männer mit einem Messer. Er gilt als Sympathisant des "Islamischen Staates". Ein Toter, ein Verletzter.

18. August 2020: Ein 30-jähriger Iraker verursacht aus islamistischen Motiven eine Unfallserie auf der Autobahn A100 in Berlin. Sechs Verletzte.

27. April 2020: Anschlagsserie auf türkischstämmige Personen in Waldkraiburg durch einen 25-Jährigen, der sich selbst als IS-Anhänger bezeichnete. Sechs Verletzte.

28. Juli 2017: Angriff mit einem Messer in einem Lebensmittelgeschäft in Hamburg; Tatverdächtiger gilt als Sympathisant des "Islamischen Staates". Ein Toter, sechs Verletzte.

19. Dezember 2016: Angriff mit einem Lkw auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. Der "Islamische Staat" bekannte sich wenig später zu der Tat. 13 Tote, 61 Verletzte.

24. Juli 2016: Sprengstoffanschlag durch Selbstmordattentäter in Ansbach; der Attentäter war mutmaßlich Sympathisant des "Islamischen Staates", der den Anschlag für sich reklamierte. Ein Toter (Täter), 14 Verletzte.

18. Juli 2016: Angriff mit Hieb- und Stichwaffe in einem Regionalzug bei Würzburg; der "Islamische Staat" reklamierte den Anschlag für sich. Ein Toter (Täter), fünf Verletzte.

16. April 2016: Sprengstoffanschlag auf einen Tempel der Sikh-Gemeinde in Essen; die Tatverdächtigen sind mutmaßliche Sympathisanten des "Islamischen Staates". Drei Verletzte.

26. Februar 2016: Messerattacke in Hannover auf einen Polizeibeamten; die Tatverdächtige ist Sympathisantin des "Islamischen Staates". Ein Verletzter.

Titelfoto: Montage: Bernd von Jutrczenka/dpa, Christian Charisius/dpa

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