Aufzeichnungen des Auschwitz-Kommandanten: Lesung im KZ Sachsenburg

Frankenberg - Die Zuhörer sitzen im 75 Meter langen Schlafsaal der Häftlinge. Eine Tür öffnet sich, schlurfende Schritte kommen näher, wenig später harte Stiefeltritte. Der Lichtschein liegt auf einem schwarzen Schreibtisch. Dort sitzt Silvia Klemm (58) und liest den schwersten Text ihres Lebens. Wer ihr zuhört, kann sich einer Antwort nähern. Auf die große Frage nach dem Warum.

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenburg, An der Zschopau 6, ist relativ unbekannt.
Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenburg, An der Zschopau 6, ist relativ unbekannt.  © Sven Gleisberg

Für die Lesung aus den Aufzeichnungen, die Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß vor seiner Hinrichtung 1947 niederschrieb, hat das Fritz-Theater seine Spielstätte in Chemnitz verlassen, um den originalen Wortlaut im ehemaligen KZ Sachsenburg wirken zu lassen.

Der biografische Text des SS-Schergen beginnt bei dessen Kindheit.

"Im Laufe der 16 Kapitel wird klar, wie aus einem unschuldig geborenen Menschen so etwas werden kann. Und das Schlimmste ist, dass für mich am Ende vorstellbar ist, dass so etwas aus jedem Menschen werden könnte", sagt die Schauspielerin. "Es geht auch um das Phänomen der Gehorsamkeit und wie weit diese reicht."

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Höß sah sich als Rad im Getriebe: "Ich mußte dies alles tun - weil ich derjenige war, auf den alle sahen, weil ich allen zeigen mußte, dass ich nicht nur die Befehle erteilte, die Anordnungen traf, sondern auch bereit war, selbst überall dabei zu sein ...".

"Wenn ich diese Worte lese, bekomme ich Gänsehaut."

Silvia Klemm (58) liest im ehemaligen Schlafsaal des KZ Sachsenburg aus dem Tagebuch des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß.
Silvia Klemm (58) liest im ehemaligen Schlafsaal des KZ Sachsenburg aus dem Tagebuch des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß.  © Maik Börner

Über die Ärzte in Auschwitz, die über Leben und Tod entschieden und darüber, wer für medizinische Experimente vorgesehen ist, schrieb er fast verwundert: "Und gerade zu denen hatten die Kinder und Frauen besonderes Vertrauen." Eine Textpassage, die Silvia Klemm besonders nahe geht: "Wenn ich diese Worte lese, bekomme ich Gänsehaut."

Dass eine Frau den in der Ich-Form geschriebenen Text des NS-Mannes vorträgt, schafft bewusst Distanz.

"Sonst entstünde leicht der Gedanke, der Vorleser spielt jetzt den Höß. So ist es nicht", sagt Fritz-Theater-Leiter Hardy Hoosmann (65). "Außerdem ist die markante, ausdrucksstarke Erzählstimme von Silvia Klemm für diesen Vortrag geeignet wie keine andere."

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Die Lesung des Monodramas "Der Kommandant" war während der Pandemie zunächst als Hörspiel konzipiert gewesen. Als wieder Veranstaltungen mit Zuschauern möglich waren, suchte Theater-Chef Hoosmann nach einem authentischen Ort. Die beiden Lesungen beginnen Samstag und Sonntag jeweils 17 Uhr. Karten kosten 5 Euro.

Kaderschmiede für Konzentrationslager

Das KZ Sachsenburg war das einzige große Lager der frühen NS-Jahre in Sachsen. "Es war Ausbildungsstätte der SS für die Aufseher, die danach in größere Lager wie Buchenwald oder Auschwitz gegangen sind", sagt Gisela Heiden (67) vom Verein der Lagerarbeitsgemeinschaft KZ Sachsenburg. Bisher sind 15 000 Namen von Menschen dokumentiert, die zwischen 1933 und 1937 hier inhaftiert waren.

Weil die Gebäude nach dem Krieg wieder als Fabrik genutzt wurden, ist der geschichtsträchtige Ort vielen unbekannt.

Die Lesung, die am Samstag und Sonntag die Erinnerung wachhält, trifft fast zeitgleich auf deren Zerstörung: Die Stadt Frankenberg hatte die ehemalige Kommandanten-Villa des KZ Sachsenburg trotz zahlreicher Proteste Ende Oktober abreißen lassen.

Titelfoto: Maik Börner

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