Die "Kapitänin" von Kriebstein: Ihre Liebe zu Schiffen lebt sie als Fährfrau aus

Mittweida - Auf hoher See entdeckte Maritsa Hermer (36) ihre Vorliebe für die unbezähmbare Wildheit des Wassers. Dieses Gefühl wollte sie fortan nicht mehr missen. Im Sinne der Familienplanung zog die Mittweidaerin dennoch ins Binnenland Sachsen zurück.

Richtung und Geschwindigkeit steuert eine sichere Frauenhand.
Richtung und Geschwindigkeit steuert eine sichere Frauenhand.  © Steffen Füssel

Zu ihrem Glück suchte der Zweckverband Kriebsteintalsperre gerade jemanden, der die Touristen sicher über die Zschopau schippert. Jetzt begann Maritsa Hermer ihre zweite Saison als Fährfrau, bei der sie den Reisenden von der Schönheit ihrer Heimat erzählt.

Kaum hat Maritsa morgens um 10 Uhr die geladene Batterie angeschlossen und die Sachsen-Fahne gehisst, betätigen Wanderer am Ringethaler Ufer schon die Klingel. Manche rufen auch: "Fährmann, hol über!" Im gleichnamigen Kinderspiel müsste sie jetzt "Kommt doch selbst!" rufen. Stattdessen wirft sie aber den Elektromotor (9 PS) an und ihre dunklen Locken wehen im Fahrtwind.

In der Sommersaison steht sie den Touristen von Freitag bis Sonntag und an den Feiertagen als Dienstleisterin zur Verfügung. Weil sich mehrere der herrlichen Wanderwege der Talsperre gerade an ihrer Anlegestelle treffen, hat sie an sonnigen Tagen richtig viel zu tun.

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Hermer: "Manchmal ist man ununterbrochen von einem Ufer zum anderen unterwegs, da bleibt nicht mal Zeit zum Kaffeekochen."

Etwa anderthalb Minuten benötigen Maritsa Hermer und Liesel Lauenhain von einem Ufer zum anderen. Die Locken wehen im Wind.
Etwa anderthalb Minuten benötigen Maritsa Hermer und Liesel Lauenhain von einem Ufer zum anderen. Die Locken wehen im Wind.  © Steffen Füssel

"Hier hat sich für mich alles richtig angefühlt"

Abfahrt Richtung Lauenhain: Für die Passagiere gibt es auch Tipps für ihren Aufenthalt in Mittelsachsen.
Abfahrt Richtung Lauenhain: Für die Passagiere gibt es auch Tipps für ihren Aufenthalt in Mittelsachsen.  © Steffen Füssel

Bis zu 18 Personen passen auf die Fähre - sind Räder und Hunde dabei, entsprechend weniger. Da entscheidet die Tiefgangmarke. Die Fährfrau: "Falls Leute auf die nächste Überfahrt warten müssen, wird das gelassen hingenommen. Sie sind ja zur Erholung hier und entspannt." Auch deshalb ist sie glücklich, dass sie diesen Job gefunden hat.

Diese Vorliebe für das Wasser war Maritsa lange nicht bewusst - auch wenn sie als Kind schon Seemannslieder mochte. Hermer: "Die Seefahrt ist in Mittelsachsen ja nicht der naheliegendste Berufsweg." Sie begann als internationale Wirtschaftsassistentin, arbeitete viel in Landwirtschaft und Gastronomie und absolvierte schließlich eine Lehre in Glasmalerei und Kunstverglasung - doch Arbeitsangebote waren rar.

Eines Tages stand die Sächsin bei strömendem Regen im Hamburger Hafen. Dort ankerte gerade ein Touristen-Segelschiff. Sie fragte nach Arbeit und wurde prompt angeheuert. Als Schiffsmanagerin achtete sie darauf, dass es den Gästen an nichts fehlte. Sie arbeitete auch auf Deck, setzte Segel oder bekochte die Crew. Damit sie nicht nur "Leichtmatrose" blieb, erwarb sie auch einige Befähigungsnachweise.

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Maritsa Hermer: "Ohne dass ich je danach suchte, habe ich mich mit dem Schiffsvirus infiziert. Auch in anderen Berufen hatte ich Spaß. Doch hier hat sich für mich alles richtig angefühlt."

Gemächlich schlängelt sich die Zschopau in Richtung Talsperre. In einer Schleife wartet die Fähre.
Gemächlich schlängelt sich die Zschopau in Richtung Talsperre. In einer Schleife wartet die Fähre.  © Steffen Füssel

Hermer machte zunächst den Sportbootführerschein

Schnell mal der großen Schwester helfen - auch die Fahrplan-Fähren halten hier an.
Schnell mal der großen Schwester helfen - auch die Fahrplan-Fähren halten hier an.  © Steffen Füssel

Und es ist nicht nur der Wellengang. "Das Wasser schafft und macht, was es will. Es fordert einen immer wieder, flexibel zu reagieren, das ist spannend. Außerdem ist es schön, an der frischen Luft zu sein. Ob Sonne, Sturm oder Regen - ich mag Wetter!"

Mit den rauen Ozeanen ist die beschauliche Zschopau eher nicht zu vergleichen. Doch der Wind pfeift schon gelegentlich unberechenbar um die Ecke. Und nach Regenfällen gibt es eine Strömung, welche die Fährfrau am Steuer ausgleichen muss. Dann weicht sie auch dem Treibgut aus.

Bei Sonne auch einigen undisziplinierten Zeitgenossen: "Manche Freizeitkapitäne haben leider nicht verinnerlicht, dass Berufsschifffahrt immer Vorfahrt hat."

Außer der Seetauglichkeit nützten ihr die auf hoher See absolvierten Scheine nicht viel. Für die Binnenschifffahrt machte sie zunächst den Sportbootführerschein und erwarb bei der Landesdirektion das Fährpatent A für die Personenbeförderung. Das berechtigt sie auch, auf der Brücke der beiden großen Schwestern ihrer kleinen Fähre zu stehen, der "Höfchen" und der "Lauenhain 2".

Montags wird Maritsa darauf geschult, damit sie demnächst auch mal beim fahrplanmäßigen Verkehr zwischen Kriebstein und Mittweida einspringen kann - es mangelt an Schiffsführern.

Nicht nur Kapitänin, sondern auch Touristenführerin

Ein Hingucker für alle Ostalgie-Fans: der Fahrscheinautomat.
Ein Hingucker für alle Ostalgie-Fans: der Fahrscheinautomat.  © Steffen Füssel

Die beiden großen Fähren halten auch an ihrer Fährstelle in Lauenhain. Dann springt Maritsa herbei und hilft beim Anlegen. Aussteigende Fahrgäste wollen dann oft mit ihrer kleinen "Lauenhain 1" noch ans andere Ufer. Die Kapitänin nennt sie liebevoll "Liesel" Lauenhain: "Das gibt ihr Charakter."

Auch wenn ihre Hauptaufgabe der Personentransport ist, gibt Maritsa gern auch die Touristenführerin: "Man kommt ja auf der Überfahrt mit den Leuten ins Gespräch. Sie schwärmen mir dann vor, was sie gerade erlebt haben oder was sie noch planen."

So hat sie schon von vielen Geheimtipps erfahren, die sie dann auch gern weitergibt. Etwa wo man den besten Kuchen oder selbst gemachten Saft findet.

Beim Bezahlen staunen die Passagiere meist über ihren historischen Fahrscheinautomaten. Der muss noch aus den 1950er-Jahren vom VEB Kraftverkehr sein - in Zeiten von bargeldloser Handyzahlung ist allein dieses Erlebnis eine Kahnpartie wert.

Maritsa Hermer (36) liebt die Wellen auf hoher See und die Familie in Mittelsachsen. Als Fährfrau an der Zschopau fand sie einen geeigneten Kompromiss.
Maritsa Hermer (36) liebt die Wellen auf hoher See und die Familie in Mittelsachsen. Als Fährfrau an der Zschopau fand sie einen geeigneten Kompromiss.  © Steffen Füssel

Eine Überfahrt für 1,50 Euro

Sehr geehrte Damen und Herren: In Kürze erreichen wir unsere Endstation Ringethal. Bitte alle aussteigen!
Sehr geehrte Damen und Herren: In Kürze erreichen wir unsere Endstation Ringethal. Bitte alle aussteigen!  © Steffen Füssel

Preiswerte 1,50 Euro kostet die Überfahrt pro Person, ermäßigt einen Euro. Hin und wieder versuchen Leute auch zu feilschen, von wegen Gruppen-Rabatt. Das lächelt die Fährfrau aber locker weg.

Nach 18 Uhr wird die Flagge wieder eingeholt und die Liesel für die Nacht gesichert. Noch in diesem Jahr plant Maritsa Hermer, das lauschige Plätzchen am Fähranleger kulturell aufzuwerten. Für einige Sommerabende möchte sie nach Dienstschluss Musiker einladen, welche die Wanderer und die Gäste vom benachbarten Campingplatz unterhalten.

Und wenn die Saison nach Oktober zu Ende geht, wird sie wieder an der Seefahrtschule lernen. Ihr Traum ist, in den Wintermonaten auch mit Töchterchen Henriette (3) wieder auf hohe See zu gehen. Der Schiffsvirus wirkt.

Titelfoto: Steffen Füssel

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