Durchstarter Maurice: Vom mäßigen Schüler zum Super-Azubi! Gute Noten sind eben doch nicht alles

Dresden - Kommende Woche gibt es in Sachsens Schulen Halbjahreszeugnisse. Langsam steigt jetzt der Puls der Schüler in den Abschlussklassen - vor allem an den Hauptschulen. Tausende Jugendliche quält dort nämlich eine Frage: Reicht es am Ende, um die anstehenden Prüfungen zu bestehen? Tatsächlich schafften 2022 in Sachsen insgesamt 2775 Hauptschüler (8,5 Prozent) keinen Abschluss auf dem ersten Bildungsweg. Lest hier, wie lernschwache Kids für die Berufe-Welt fit gemacht werden und was zwei Unternehmerinnen davon halten. Ihr Beispiel aus Pirna zeigt: Schulerfolg ist nicht gleich Lebenserfolg

Maurice Lindemann (18) hat seinen Platz im Leben gefunden. Trotzdem ist auch seine Neugierde auf neue Aufgaben geweckt - zum Beispiel im Ausland.
Maurice Lindemann (18) hat seinen Platz im Leben gefunden. Trotzdem ist auch seine Neugierde auf neue Aufgaben geweckt - zum Beispiel im Ausland.  © Holm Helis

Wenn Maurice Lindemann (18) von seiner Arbeit spricht, strahlen seine Augen. Im Romantik Hotel Deutsches Haus in Pirna fühlt sich der angehende Hotelfachmann sichtbar wohl. Er schwärmt, wenn er von seinen Kollegen, dem Teamgeist, seinen Aufgaben an der Rezeption und der Geschichte des Vier-Sterne-Hauses spricht.

Wenn der Heidenauer hingegen nach seiner Schulzeit befragt wird, verdüstert sich sein Gesicht. "Die war schrecklich", berichtet er. Maurice Lindemann flogen gute Noten nicht zu. Mathe, Geschichte und Physik waren seine Baustellen. Als in der Corona-Pandemie plötzlich Fernunterricht und Selbststudium angesagt waren, verlor er erst die Lust und dann den Faden.

Er sagt: "Keiner glaubte damals mehr an mich."

Das Hotel Deutsches Haus liegt sehr zentral in Pirnas schöner Altstadt - eine Top-Adresse.
Das Hotel Deutsches Haus liegt sehr zentral in Pirnas schöner Altstadt - eine Top-Adresse.  © Holm Helis
Katja (l.) und Regina Riedel sind froh, bei der Personalentscheidung nicht nur auf die Noten geschaut zu haben
Katja (l.) und Regina Riedel sind froh, bei der Personalentscheidung nicht nur auf die Noten geschaut zu haben  © Holm Helis

Maurice wusste bei seiner Lehre zu überzeugen

Maurice im Fachgespräch mit Koch-Azubi Jonas Just.
Maurice im Fachgespräch mit Koch-Azubi Jonas Just.  © Holm Helis

Ein Ausbildungsprojekt des Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) für Schüler führte Lindemann ins Deutsche Haus.

Hotel-Inhaberin Regina Riedel erinnert sich lebhaft an ihre erste Begegnung: "Er sprang damals auf, um mir an der Kaffeemaschine zu helfen." Dieses - sein - Engagement beeindruckte sie. Als erfahrene Hotel-Inhaberin sah sie sofort Lindemanns Stärken: sein serviceorientiertes Denken, seine Hilfsbereitschaft.

"In jedem steckt etwas. Man muss es nur finden", ist Katja Riedel überzeugt. Sie führt als Junior-Chefin zusammen mit ihrer Mutter das Hotel. Die beiden Frauen unterstützten danach Maurice Lindemann. Er schaffte schließlich den Hauptschulabschluss (Notendurchschnitt 3,4), begann direkt im Anschluss im Deutschen Haus eine Lehre.

Wie viele noch? Staatsanwaltschaften brechen unter Akten zusammen
Sachsen Wie viele noch? Staatsanwaltschaften brechen unter Akten zusammen

Der Ausbildungsberuf scheint seine Berufung: Bei einem DEHOGA-Wein-Wettbewerb holte er den 1. Preis und verwies als Azubi im ersten Lehrjahr ältere Ausbildungsjahrgänge auf die Plätze. Lindemann: "Dieser Erfolg hat meinen Ehrgeiz wach gekitzelt."

Heute gestaltet er allein im Hotel Weinverkostungen.

Zur Etikette gehört auch Akribie. Das fängt schon beim Tisch decken an.
Zur Etikette gehört auch Akribie. Das fängt schon beim Tisch decken an.  © Holm Helis

Orientierungslosen Jugendlichen eine Chance geben

Junior-Chefin Katja Riedel war mal Weinkönigin. Jetzt gibt sie ihr Wissen auch an Maurice weiter.
Junior-Chefin Katja Riedel war mal Weinkönigin. Jetzt gibt sie ihr Wissen auch an Maurice weiter.  © Holm Helis

Regina Riedel sagt: "Ich finde es falsch, dass viele orientierungslose Jugendliche heute in überbetrieblichen Maßnahmen geparkt werden. Die Jugendlichen ziehen sich dort gegenseitig runter."

Sie wünscht sich als Unternehmerin, dass in den Schulen mehr Berufsorientierung betrieben wird. Katja Riedel ergänzt: "Zudem sollten mehr gezielte Praktika durchgeführt werden. Dabei sollte auf den Menschen und weniger aufs Papier und die Noten geschaut werden."

Maurice Lindemann beendet im Sommer seine Lehre. Danach will er im Ausland arbeiten, Erfahrungen sammeln, um später vielleicht als Ausbilder in der Branche Nachwuchs zu fördern.

Seine Botschaft an alle Jugendliche, die in der Schule kämpfen: "Macht was aus eurem Leben! Hört nicht auf die, die an euch zweifeln."

Der Azubi thront, die Chefinnen Regina (l.) und Katja Riedel stehen: Über dieses "Graf-Koks-Foto" mussten alle Drei selber lachen.
Der Azubi thront, die Chefinnen Regina (l.) und Katja Riedel stehen: Über dieses "Graf-Koks-Foto" mussten alle Drei selber lachen.  © Holm Helis

Jeder Zwölfte geht ohne Abschluss

Nicht alle Jugendlichen erkennen schon zu Schulzeiten den Ernst des Lebens.
Nicht alle Jugendlichen erkennen schon zu Schulzeiten den Ernst des Lebens.  © 123rf/iordani

Wo Licht ist, gibt es auch Schatten.

Sachsen schneidet bei Bildungsvergleichen zwar regelmäßig spitze ab. Dass jeder 12. die Schule ohne Abschluss verlässt, gehört aber ebenso zur Wahrheit. Kultusminister Christian Piwarz (48, CDU) bemüht sich, seine "Hausaufgaben" zu machen und mahnt: "Die Schere zwischen Spitzenleistungen und Misserfolg darf nicht weiter auseinandergehen."

Ländervergleiche sind in diesem Zusammenhang schwierig - die jeweiligen Statistiken werden nicht einheitlich erstellt. Sachsen führt zum Beispiel Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und Lernen (insgesamt etwa 4 Prozent) in der Statistik mit. Die Quote berücksichtigt zudem nicht, ob auf einem anderen Weg der Hauptschulabschluss nachgeholt wird (etwa über die Schulfremdenprüfung, im Berufsvorbereitungsjahr oder durch Zuerkennung eines guten Berufsabschlusses).

Piwarz: "Für uns zählt jeder Schüler und jede Schülerin. Klar ist aber auch, Schule kann nicht die alleinige Reparaturwerkstatt für die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sein."

Berater sollen Job-Einstieg erleichtern

Jede Ausbildung ist erstmal eine Herausforderung. Gut, wenn dabei jemand hilft.
Jede Ausbildung ist erstmal eine Herausforderung. Gut, wenn dabei jemand hilft.  © IMAGO/Funke Foto Services

"Die Betriebe suchen händeringend Nachwuchskräfte. Jeder wird in Sachsen gebraucht", mahnt der Chef der Arbeitsagentur im Freistaat, Klaus-Peter Hansen (61).

Seine Behörde bemüht sich intensiv, Jugendlichen ohne Abschluss Perspektiven am Arbeitsmarkt aufzuweisen. Die Erfahrung der BA: Ohne einen Schulabschluss - auch wenn dieser keine zwingende Voraussetzung für eine Ausbildungsstelle ist - fällt der Einstieg in einen Job schwer. Damit lernschwache Schüler einen Schulabschluss schaffen, arbeiten in Sachsen Kultusministerium und Bundesagentur Hand in Hand.

Gegenwärtig finanzieren sie über 200 Coaches, die Teenagern an über 200 Oberschulen und 80 Förderschulen bis zum Schulabschluss unterstützen. An Förderschulen und in Hauptschulklassen gibt es landesweit Berufseinstiegsbegleiter (Kultusministerium und BA bezahlen sie jeweils hälftig).

Insgesamt rund 16 Millionen Euro investieren beide Einrichtungen jedes Jahr für die Berufseinstiegsbegleiter. Zum Job dieser Berater gehört es, den Heranwachsenden in allen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Titelfoto: Montage: Holm Helis

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