Ideen aus Sachsen sprachen sich schon europaweit rum: Im Superdorf Thallwitz ist Anpacken Trumpf

Wurden - Verlassene und verfallende Höfe, alternde und schrumpfende Bevölkerung, leere und geschlossene Ladengeschäfte – der Strukturwandel im ländlichen Raum ist für Bürgermeister auf dem ganzen Kontinent eine Herausforderung. Um neue Ideen anzuregen, wird alle zwei Jahre der Europäische Dorferneuerungspreis vergeben. Ganz überraschend holte jetzt eine 3500-Seelen-Gemeinde aus dem Wurzener Land eine Goldmedaille. Ein Blick nach Thallwitz könnte sich lohnen.

Bürgermeister Thomas Röge (53) sucht für die Ideen der Dorfbewohner die passenden Fördertöpfe. Jetzt gab es eine europäische Goldmedaille für die Gemeinde.
Bürgermeister Thomas Röge (53) sucht für die Ideen der Dorfbewohner die passenden Fördertöpfe. Jetzt gab es eine europäische Goldmedaille für die Gemeinde.  © Ralf Seegers

Östlich der Mulde, zwischen Wurzen und Eilenburg gelegen, besteht die Gemeinde aus neun Dörfern. Zwei Schlösser, fünf ehemalige Rittergüter und fünf Kirchen gibt es hier zu entdecken – Kulturgüter, die erhalten werden sollen.

Weil weite Flächen für die Leipziger Trinkwasserversorgung geschützt sind, schränkt dies besonders die Landwirtschaft ein. Das hindert die Gemeinderäte aber nicht, sich mit 20 anderen europäischen Dörfern zu messen.

"Wo keine Brücke ist, bauen wir eine. Statt über Probleme und Herausforderungen zu klagen, packen wir sie beim Schopfe."

Magische Grenze unterschritten: In Sachsen haben wir so wenige Apotheken wie nie zuvor
Sachsen Magische Grenze unterschritten: In Sachsen haben wir so wenige Apotheken wie nie zuvor

So lauten die ersten Zeilen einer Image-Broschüre, welche die Gemeinde mithilfe des Freistaates für den Wettbewerb gestaltet hat. Darin werden all die Maßnahmen beschrieben, die in den letzten Jahren angegangen wurden.

Die Jury war nicht bloß von der innovativen Qualität der Projekte überwältigt, sondern auch von deren Vielfalt und Vielseitigkeit.

Der Thallwitzer "Bildungscampus", bestehend aus Kita und Grundschule, erhielt kürzlich ein Portal aus nachhaltigem Lärchenholz und Solarpaneelen.
Der Thallwitzer "Bildungscampus", bestehend aus Kita und Grundschule, erhielt kürzlich ein Portal aus nachhaltigem Lärchenholz und Solarpaneelen.  © Ralf Seegers

Erfolgsgeheimnis dank der Thallwitzer Dorfgemeinschaft

Zu wenige Pfarrer für so viele Gotteshäuser. Das in Nischwitz wird nun zur Kulturkirche umgebaut.
Zu wenige Pfarrer für so viele Gotteshäuser. Das in Nischwitz wird nun zur Kulturkirche umgebaut.  © Ralf Seegers

Hier nur mal eine Andeutung:

  • Neben dem Herrenhaus des Rittergutes im Ortsteil Röcknitz verfällt ein großer unter Denkmalschutz stehender Rennpferdestall. Idee der Thallwitzer: Er wird zu einem Co-Working-Space mit Übernachtungsmöglichkeiten umgebaut. Hier können Leute professionell arbeiten, ohne erst ins Büro in die Stadt fahren zu müssen. Der Freistaat wurde überzeugt und finanziert das Projekt.
  • Da ganz in der Nähe noch weitere öffentliche Gebäude wie Schule, Kindergarten und ein Museum stehen, plant man hier eine eigene Nahwärmeversorgung, betrieben durch eine Holzschnitzel-Heizung. Klappt das, könnte das Modell auf die anderen Dörfern übertragen werden.
  • Um sich dafür selbst zu versorgen, beschloss der Gemeinderat eine außergewöhnliche Garantie: Wenn ortsansässige Unternehmen Agrarhölzer (Weide, Pappel, Robinie) anbauen, wird die Gemeinde das Energieholz abnehmen. Obendrein schützt das grüne Band die Felder vor Wind.

Das Erfolgsgeheimnis von Thallwitz ist schnell gelüftet. Bürgermeister Thomas Pöge (53): "Die meisten Anregungen kommen ja aus unserer Dorfgemeinschaft. Man muss den Leuten nur zuhören, sie ernst nehmen, machen lassen und gegebenenfalls unterstützen. Dann sprudeln Ideen und Engagement von selbst."

Der Pferdestall neben dem Herrenhaus zu Röcknitz soll ein Co-Working-Space mit Übernachtungsmöglichkeiten werden.
Der Pferdestall neben dem Herrenhaus zu Röcknitz soll ein Co-Working-Space mit Übernachtungsmöglichkeiten werden.  © Ralf Seegers

Dorfgemeinschaft steht im Mittelpunkt, kein Platz für persönliche Eitelkeiten

Schon die Grundschüler werden zur Dorfverschönerung erzogen - etwa mit großen Baumpflanz-Aktionen.
Schon die Grundschüler werden zur Dorfverschönerung erzogen - etwa mit großen Baumpflanz-Aktionen.  © Ralf Seegers

So gibt es in fast jedem Ortsteil einen eigenen Heimatverein, der das Anpacken organisiert. Mit Subtonika wurde eine alte Tanzdiele reaktiviert. Oder eine kleine Bühne wurde im Schlosspark für Veranstaltungen errichtet. Eines der überschüssigen Gotteshäuser wird zur Kulturkirche umgestaltet, und an anderer Stelle entstand ein Lehrpfad zur slawischen Vorgeschichte der Gegend.

Aufgabe der Dorfpolitiker ist es, einen Fördertopf zu finden und zu öffnen.

Das gemeinsame Gedeihen der Dörfer steht auch im Gemeinderat im Vordergrund, persönliche Eitelkeiten sind fehl am Platz. Pöge: "Das ist eine Runde von Pragmatikern und Machern. Bedenken werden zwar konstruktiv erörtert, führen aber nicht zur Blockade. Wir versuchen es einfach."

Als etwa für das Dorfgasthaus "Reußischer Hof" kein Pächter gefunden wurde, gründete man eben einen Eigenbetrieb – das Ding läuft.

Weiterhin schließt sich die Gemeinde bestehenden Netzwerken an oder sucht sich regionale Partner. Gemeinsam mit Bürgermeistern der Nachbargemeinden Lossatal, Bennewitz und Wurzen mietete man in Leipzig einen Saal, um Städtern das Dorfleben schmackhaft zu machen – ein voller Erfolg. Nun sind die einst leer stehenden Anwesen vergeben.

Die alte Dorfschule ist nun ein "Multiples Haus" - ein Servicezentrum auf dem Lande.
Die alte Dorfschule ist nun ein "Multiples Haus" - ein Servicezentrum auf dem Lande.  © PR/Gemeinde Thallwitz

Neues Logistiksystem sucht Fördertöpfe

Weil die Gegend vor 250 Millionen Jahren von einem Supervulkan geprägt wurde...
Weil die Gegend vor 250 Millionen Jahren von einem Supervulkan geprägt wurde...  © Frank Schmidt

Die Jury des Wettbewerbs zeigte sich auch begeistert von dem Konzept des bereits 2013 aus der alten Dorfschule entstandenen "Multiplen Hauses". Idee: Montags kommt die Physiotherapeutin, dienstags der Arzt, mittwochs die Fußpflege und am Donnerstag die Friseurin.

Der Physiotherapeutin gefiel es so gut, dass sie inzwischen eine eigene Praxis im Gemeindegebiet betreibt. Und mehrere Ärzte gründeten eine Gemeinschaftspraxis.

Bei einigen genialen Ideen bedarf es auch eines längeren Atems. Das Projekt "Korb in Fahrt" etwa kam durch einen Bundeswettbewerb in die Erprobungsphase. Mit dem Regionalbus-Unternehmen wurden so regional produzierte Nahrungsmittel auf Läden und Wochenmärkten verteilt – ein ausgeklügeltes Logistiksystem.

Der Bund prämierte aber andere Projekte, sodass Thallwitz dafür nun andere Fördertöpfe sucht.

Für die Goldmedaille im europäischen Wettbewerb kann sich die Gemeinde nichts kaufen. Bürgermeister Pöge: "Sie ermutigt uns aber, unsern eingeschlagenen Weg fortzusetzen und macht uns etwas stolz."

... ersannen die Thallwitzer einen Vulkanspielplatz – die Kinder freuen sich.
... ersannen die Thallwitzer einen Vulkanspielplatz – die Kinder freuen sich.  © Frank Schmidt

Und man freut sich darauf, die Erfolge 2025 tausenden Besuchern zu präsentieren: Dann finden im Gemeindegebiet die bundesweiten Öko-Feldtage statt.

Titelfoto: Bildmontage: Ralf Seegers, Frank Schmidt

Mehr zum Thema Sachsen: