Jeder Dritte geht bis 2035 in Rente: Sachsen droht riesiger Arbeitskräfte-Verlust

Kamenz - Der demografische Wandel schlägt brutal auf Sachsens Arbeitsmarkt durch. In den nächsten sieben Jahren hört nahezu jeder fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte auf zu arbeiten, bis 2035 geht bereits jeder Dritte in Rente. Horrorzahlen für die Wirtschaft - die das Statistische Landesamt am Dienstag präsentierte.

Sachsens Arbeitnehmer werden immer älter. Der Altersdurchschnitt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag zum Jahreswechsel bei 43,2 Jahren.
Sachsens Arbeitnehmer werden immer älter. Der Altersdurchschnitt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag zum Jahreswechsel bei 43,2 Jahren.  © Imago

Der Erhebung zufolge verliert der Freistaat bis zum Jahr 2030 altersbedingt 317.332 Arbeitnehmer. Fünf Jahre darauf wird die Zahl der Verrentungen bereits auf über eine halbe Million Beschäftigte angewachsen sein.

Von der demografischen Keule besonders betroffen: der Südwesten des Freistaats. Für den Vogtlandkreis prognostizieren die Statistiker mit 21,8 Prozent (2030) und 35,8 Prozent (2035) ausscheidender Beschäftigter die höchsten Verlustwerte. Im Erzgebirgskreis und in Mittelsachen sind sie nur geringfügig darunter.

Einzig die kreisfreien Städte Leipzig und Dresden haben moderatere Ruhestandsquoten, die 2035 noch unter 30 Prozent liegen.

Arbeitsmarkt: Neue Zahlen lassen das Schlimmste befürchten

Die Alterspyramide der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Sachsen zum 31. Dezember 2022.
Die Alterspyramide der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Sachsen zum 31. Dezember 2022.  © Bundesagentur für Arbeit

Einen "riesigen Know-how-Verlust" befürchtet die IHK

Sorgt sich um die Arbeitskräftesituation im Südwesten: Christoph Neuberg, Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz
Sorgt sich um die Arbeitskräftesituation im Südwesten: Christoph Neuberg, Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz  © Maik Börner

Bei den Industrie- und Handelskammern im Land läuten angesichts des Arbeitskraftverlustes die Alarmglocken. Schon das letzte Fachkräfte-Monitoring 2022 förderte zutage, dass jede zweite ausgeschriebene Stelle länger als sechs Monate unbesetzt bleibt.

Bei Technikern und Meistern liegt der Anteil langfristig vakanter Stellen bereits bei 62 Prozent!

"Seit 15 Jahren weisen wir darauf hin, dass es so kommt", sagt Christoph Neuberg (48), Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz. Und ärgert sich, dass die Politik nicht entschieden gegensteuert. Im Gespräch mit TAG24 spricht er von einem "riesigen Know-how-Verlust".

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Sachsen Milder Winter und viel Regen: Experte erwartet schlimmen Mücken-Sommer

"Wir müssen nun schnell digitalisieren, um das Wissen der alten Fachkräfte zu speichern", sagt er. Zudem müsse die Politik Anreize schaffen, um Mitarbeiter längerfristig im Erwerbsleben halten zu können.

"Die politische Diskussion um eine 4-Tage-Woche ist da völlig kontraproduktiv", kritisiert Neuberg. Es bräuchte vielmehr eine geringere Abgabenlast und Förderprogramme für altersgerechte Arbeitsplätze.

"Zudem muss die Zuwanderung von Fachkräften erleichtert werden, vor allem durch Abbau bürokratischer Hürden", fordert Neuberg. "Am besten durch gewerbliche Arbeitskräftevermittler, da die sich am Markt orientieren."

Kommentar: Falsche Anreize, meint TAG24-Redakteur Alexander Bischoff

Kann die Zuwanderung von Fachkräften das Problem lösen? (Symbolbild)
Kann die Zuwanderung von Fachkräften das Problem lösen? (Symbolbild)  © Stefan Sauer/dpa

Nach der Bevölkerungsprognose im Juni warten die Landesstatistiker mit der nächsten demografischen Horrormeldung auf: Bis 2035 geht in Sachsen jeder dritte Beschäftigte in Rente. Was für junge, arbeitswillige Menschen Riesenchancen auf gute Jobs verheißt, ist für die sächsische Wirtschaft verheerend.

Immer wieder geistert nun durch die Politik, das Renteneintrittsalter anzuheben. Doch das würde das Problem nur um ein paar Jahre verlagern. Zumal das bei vielen Knochenjobs, gerade am Bau und im Handwerk, gar nicht funktioniert.

Was ich mich frage: Warum klagt Sachsens Wirtschaft einerseits über Arbeitskräftemangel, wenn auf der anderen Seite die Arbeitslosenzahlen wieder ansteigen? Aktuell gelten im Freistaat 135.036 Frauen und Männer als erwerbslos. Ist da wirklich niemand dabei, der auf die Tausenden freien Stellen etwa in Hotellerie, Gastronomie und Security-Branche passen würde?

Und was macht die Politik, um mehr Menschen in Arbeit zu bekommen? Die hat gerade die Erhöhung des Bürgergeldes um zwölf Prozent (!) beschlossen. Kosten für Miete und Heizung werden selbstverständlich weiter vom Amt übernommen. Gleichzeitig wurde der gesetzliche Mindestlohn um gerade mal 3,42 Prozent erhöht - auf 12,41 Euro. So mancher von hohen Sozialabgaben und Steuern gebeutelte Niedriglöhner wird sich nun fragen, warum noch malochen, wenn das gleiche Geld vom Staate kommt ...

Zur Klarstellung: Wer unverschuldet in Not geraten ist, dem sei das Bürgergeld gegönnt. Doch angesichts des demografischen Arbeitskraftverlustes setzt die Politik hier völlig falsche Anreize.

Und kann uns die Zuwanderung helfen? Bis auf einige löbliche Projekte wie die Ausbildungs-Kooperation der sächsischen Gastronomie mit Vietnam ist die Fachkräfte-Zuwanderung bislang eher politisches Wunschdenken.

Die Realität erleben wir aktuell an unseren Grenzen: Es kommen vor allem die Bürgergeldempfänger von morgen.

Titelfoto: Montage: imago, Bundesagentur für Arbeit

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