Modellbauer führt bald durchs Original: Stolpens größter Fan wird Kommandant

Stolpen - Wer hat an der Uhr gedreht? Das war Ingo Urban (55) aus Stolpen! Der gelernte Tischler baute die größten Attraktionen seiner Heimatstadt im Miniformat nach und eine clevere Zeitmaschine gleich mit ein. Vor allem das originalgetreue Modell der Burg Stolpen bescherte ihm viel Anerkennung bei Groß und Klein und jetzt sogar einen neuen Job in der echten Burg. Wir nehmen Euch anlässlich des 20. Geburtstags des hölzernen Unikats mit auf Urbans Zeitreise: vom Geschichts-Fan, Modell-Enthusiasten bis zum stilechten Festungskommandant.

Führungen in der Uniform des Festungskommandanten Herrn von Boblick: Zum 20-jährigen Jubiläum vergrößerte Ingo Urban (55) sein 1:50-Burg-Modell mit der Stadtkirche von Stolpen.
Führungen in der Uniform des Festungskommandanten Herrn von Boblick: Zum 20-jährigen Jubiläum vergrößerte Ingo Urban (55) sein 1:50-Burg-Modell mit der Stadtkirche von Stolpen.  © Fotomontage: Eric Münch

Drehen wir die Zeit 22 Jahre zurück. "Damals hatten wir uns gerade eine Gartenparzelle mit einem alten, kranken Apfelbaum zugelegt", erzählt Urban. "Doch der Baum musste aus Sicherheitsgründen gefällt werden."

Der Stamm blieb lange liegen und bildete schließlich den Grundstock für einen Steingarten. Doch irgendwie fehlte die Krönung. "Beim Rasenmähen hatte ich dann plötzlich die Idee, die Burg Stolpen als Modell nachzubauen", sagt Urban.

Im Basteln hatte er Erfahrung. Als ihm sein Vater zum zwölften Geburtstag ein Buch über sächsische Militärgeschichte zur Zeit August des Starken geschenkt hatte, war sein Interesse für Geschichte entfacht.

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Weil es keine Zinnsoldaten gab, bastelte sich Klein-Ingo aus Suralin-Knetmasse selber welche, bemalte und brannte sie im heimischen Backofen. Insgesamt 167 Stück.

Als gelernter Tischler besaß er neben handwerklichem Geschick auch das Baumaterial, um eine Burg en miniature errichten zu können. Exakt im Maßstab 1:50.

Die ganze Familie bastelte mit Urban am Stolpen-Modell

Sägen, drechseln, schleifen: Die gesamten Modellanlagen ließ Urban mit viel Bastelleidenschaft und Geschichtswissen in seiner Freizeit entstehen.
Sägen, drechseln, schleifen: Die gesamten Modellanlagen ließ Urban mit viel Bastelleidenschaft und Geschichtswissen in seiner Freizeit entstehen.  © Eric Münch

Dafür wurde Urban zum Kundschafter. "Ich kaufte mir eine Jahreskarte für die Burg und zog regelmäßig mit Zollstock und Fotoapparat zur Burgvermessung los." Aus Tischlereiabfällen entstand dann ein graues Holzmodell mit schwarzen Fenstern.

"Zeitweise werkelte die ganze Familie mit. Die Kinder schliffen Sperrholzplatten ab, die Frau schwang als gelernte Dekorateurin den Pinsel." Vor genau 20 Jahren war das Modell fertig und krönt seitdem den Steingarten-Hügel im Urbanschen Garten.

"Zuerst bekamen nur Freunde und Nachbarn meine kleine Burg zu sehen. Später pilgerten Kindergartengruppen und Schulklassen bei Wandertagen in meinen Garten", erzählt der Burgherr stolz.

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Bei Modellbauern gilt: Das Ende des einen Projekts ist der Startschuss für ein neues. "Ich wollte die Burg so bauen, wie Gräfin Cosel sie während ihrer Arrestzeit um 1740 erlebt hat." Denn da war die Burg noch eine komfortable Festung.

Urban baute aber kein zweites Modell, sondern eine Art Zeitmaschine. "Die im Laufe der Zeit verloren gegangenen Festungsteile lassen sich über Steckverbindungen in das Burgmodell einfügen", erklärt er den Trick. Mit ein paar Klicks wird aus alt uralt.

So lässt sich zum Beispiel ein Arkadengang, wie man ihn aus dem Dresdner Stallhof kennt, einfach ins alte Modell aufstecken.

Modell wurde sogar im Stadtmuseum von Stolpen ausgestellt

Inzwischen erhielt die Burg in Urbans Garten kleine Geschwister: die in vier Epochen veränderliche Stadtkirche und die alte Wasserkunst von 1560, von der heute nur noch Fundamente existieren.
Inzwischen erhielt die Burg in Urbans Garten kleine Geschwister: die in vier Epochen veränderliche Stadtkirche und die alte Wasserkunst von 1560, von der heute nur noch Fundamente existieren.  © Eric Münch

"Der war bei Architekten damals groß in Mode und wurde auch auf Stolpen eingebaut." Urban besann sich sogar seiner alten Knetfiguren, die er auf dem Dachboden seiner Mutter wiederfand. Sie hauchen der Burganlage förmlich Leben ein.

Zweimal musste die Mini-Burg bislang ihren Sockel verlassen. Eine Zeit lang wurde sie im Stadtmuseum ausgestellt. Urban: "Wir brauchten sechs Männer und drei Holzbalken, um sie bewegen zu können".

Die Krönung war jedoch der Festumzug anlässlich der 800-Jahr-Feier von Stolpen im Jahr 2018. Da rollte das Burgmodell auf einem Festwagen am Original vorbei. Am vergangenen Wochenende feierte das Modell beim traditionellen Herbstmarkt schließlich 20. Geburtstag.

Sein Geschichtswissen und Bastelinteresse wollten die heutigen Burgherren vom Schlösserland Sachsen adeln. Urban soll ab nächstem Jahr Führungen als Figur des Festungskommandanten von Boblick leiten. "Meine Mutter als Schneiderin im Ruhestand nähte die Offiziersuniform." Die Uniformknöpfe stammen aus dem Lager der längst geschlossenen Knopffabrik Stolpen. Aus einem Zimmermannshut wurde der typische Dreispitz.

"Den passenden Säbel habe ich einem tschechischen Händler nach einer Aufführung der Völkerschlacht für 200 Euro abgekauft - ein schönes Schnäppchen!"

Richtig fertig ist das Modell nie. Nächstes Jahr bekommt nicht nur das Turmfragment, sondern die ganze Burg einen neuen Anstrich.
Richtig fertig ist das Modell nie. Nächstes Jahr bekommt nicht nur das Turmfragment, sondern die ganze Burg einen neuen Anstrich.  © Fotomontage: Eric Münch

Hier versauerte Gräfin Cosel

Gefängnis für die Gräfin: Constantia von Cosel lebte vom 24. Dezember 1716 bis zu ihrem Tode auf der Burg.
Gefängnis für die Gräfin: Constantia von Cosel lebte vom 24. Dezember 1716 bis zu ihrem Tode auf der Burg.  © Fotomontage: Imago/UIG, Imago/Hans Szyszka

Erst eine Burg auf der höchsten Erhebung des Stolpener Basalts, dann zum Schloss aufgemotzt wurde die Burg Stolpen in kurfürstlicher Zeit schließlich zur Festungsanlage umgebaut.

Als typische Abschnittsburg gliedert sie sich in vier Burghöfe. Erst nach 22 Jahren Bauzeit stießen Bergleute 1632 beim Brunnenbau in 84 Meter Tiefe auf Wasser.

Der berühmteste Burg-Promi war Gräfin Constantia von Cosel (†84), die bekannteste Mätresse Augusts des Starken.

Sie lebte 48 Jahre lang arrestiert auf der Festung, starb während ihrer Gefangenschaft am 31. März 1765 auf Burg Stolpen.

Titelfoto: Fotomontage: Eric Münch

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