Von Görlitz nach Babylon: Vor 125 Jahren begannen die deutschen Ausgrabungen am Euphrat

Görlitz/Berlin - Manchem Besucher stockt der Atem, andere erstarren vor Ehrfurcht: Das Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße mit den blau glasierten Ziegeln aus dem legendären Babylon sind Publikumsmagneten der Berliner Museumsinsel.

Das mächtige und kunstvolle Ischtar-Tor in Berlin. Als Besucher kommt man sich da etwas winzig vor - bezogen auf Raum und Zeit.
Das mächtige und kunstvolle Ischtar-Tor in Berlin. Als Besucher kommt man sich da etwas winzig vor - bezogen auf Raum und Zeit.  © imago/imageBroker/Rolf Fischer

Dass sie am Euphrat entdeckt wurden und an der Spree aufgebaut werden konnten, ist dem leidenschaftlichen Forscher Robert Koldewey zu verdanken.

Vor 125 Jahren, am 26. März 1899, erfolgte im Auftrag der Deutschen Orientgesellschaft und des Kaisers der erste Spatenstich für die Ausgrabung der sagenumwobenen Stadt des Altertums.

Ursprünglich fürchtete der spätere Star-Archäologe, dass er sein Leben lang als Lehrer an der Baugewerbeschule Görlitz versauern würde. Zwar hatte Robert Koldewey Architektur studiert und als Zeichner und Assistent schon an einigen archäologischen Ausgrabungen teilgenommen, doch Geld verdiente er damit kaum.

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Daher hatte er den Brotjob an der Neiße angenommen, um seine eigentliche Berufung zu finanzieren.

Etwa eine Vorexpedition ins Zweistromland, wo er 1897 für die sich gerade gründende Orientgesellschaft lohnende Ausgrabungsorte untersuchen sollte. Drei eigenartig schöne und kulturhistorisch wertvolle Glasurziegel, welche Koldewey dann in Berlin präsentierte, gaben den Ausschlag für Babylon.

Bisherige archäologische Grabungen glichen eher Schatzsuche oder Trophäenjagd

Star-Archäologe Robert Koldewey verdiente seine Brötchen als Lehrer in Görlitz, bevor er seine historische Mission in Babylon antrat.
Star-Archäologe Robert Koldewey verdiente seine Brötchen als Lehrer in Görlitz, bevor er seine historische Mission in Babylon antrat.  © picture alliance/ullstein bild

Der orientbegeisterte Kaiser Wilhelm II. erhoffte für seine Museen in Berlin ähnliche antike Exponate, wie man sie in Paris und London schon länger fand, und spendierte 20.000 Mark als Anschubfinanzierung. Nützlich waren auch dessen gute Beziehungen ins osmanische Reich.

Bisherige archäologische Grabungen glichen eher einer Schatzsuche oder Trophäenjagd, für die historische Forschung interessante Zusammenhänge wurden dabei meist unwiederbringlich zerstört.

Koldewey konnte die Geldgeber überzeugen, dass die einst so stolze Hauptstadt Babyloniens vorsichtig Schicht für Schicht abgetragen und dokumentiert wird. Als Architekt faszinierten ihn auch die städtebaulichen Strukturen. Man ging zunächst einmal von fünf Jahren aus. Es sollte sehr viel länger dauern.

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Denn allein die mächtigen Stadtmauern hatten einen Umfang von 18 Kilometern. Viele der Tempel und öffentlichen Gebäude lagen unter teils 20 Meter dicken Schuttschichten, welche etwa 200 Arbeiter mühsam säubern mussten. Nach und nach wurden die Ruinen der vor über 2000 Jahren aufgegebenen Metropole sichtbar.

Ischtar-Tor in seiner jetzigen Pracht hat Koldewey nicht mehr gesehen

Für streng religiöse Juden war die weltoffene Metropole natürlich voller Frevel. Diese Sichtweise vom "Sündenbabel" wurde über das Alte Testament auch im Abendland verbreitet.
Für streng religiöse Juden war die weltoffene Metropole natürlich voller Frevel. Diese Sichtweise vom "Sündenbabel" wurde über das Alte Testament auch im Abendland verbreitet.  © 123RF/stockgiu

Und so konnte man ab 1902 das mächtige und kunstvolle Ischtar-Tor freilegen. In einer Inschrift hatte der Erbauer Nebukadnezar II. auch die gewaltigen Bronzetiere erwähnt. Und die Prachtstraße kam zum Vorschein.

Die Berliner Museen überredeten die Verwaltung in Konstantinopel, dass der Fund nur in Deutschland sachgemäß rekonstruiert werden könne. Koldewey ließ jedes einzelne der hunderttausenden Bruchstücke dokumentieren. Die Kisten wurden direkt von der Ausgrabung am Euphrat zur Museumsinsel verschifft.

Im Jahre 1912 entdeckte er auch das Fundament des Turmes, der einst "bis in den Himmel" gebaut werden sollte. Der inzwischen weltweit umjubelte Archäologe hätte wohl noch lange weitergegraben, doch dann kam der Weltkrieg dazwischen.

Die Briten nahmen 1917 Bagdad ein und Koldewey ging zurück in die Heimat, um die Funde auszuwerten. Seine Ausgrabungsberichte waren zu dieser Zeit bereits ein Bestseller. Das Ischtar-Tor in seiner jetzigen Pracht hat er allerdings nie gesehen, er starb 1925 mit 69 Jahren.

Irak hat bereits zweimal in Berlin angeklopft

Das Pergamonmuseum wird derzeit saniert und ist geschlossen.
Das Pergamonmuseum wird derzeit saniert und ist geschlossen.  © imago/Stefan Zeitz

Erst 1930 konnte das rekonstruierte Prunkstück aus Babylon, das etwa zu einem Fünftel aus Originalsteinen besteht, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Es ist etwas kleiner, als es in Mesopotamien vorgefunden wurde. Denn obwohl das Ischtar-Tor im geräumigen Lichtsaal des Pergamonmuseums untergebracht wurde, hätten die tatsächlichen Maße die vorhandenen Möglichkeiten gesprengt.

Leider kann man die babylonischen Prachtbauten derzeit nur in virtuellen Rundgängen bewundern, denn das Museum wird komplett saniert. Eine Teileröffnung für den Flügel mit dem berühmten Pergamon-Altar soll 2027 erfolgen, eine komplette Fertigstellung ist erst für 2037 vorgesehen – und man kennt die Bauprojekte der Berliner ...

Möglich ist allerdings auch, dass man Ischtar-Tor und Prozessionsstraße dann gar nicht mehr in Deutschland findet.

Die Restitutionsdebatte um die Rückgabe kolonialer Raubkunst betrifft auch diese Werke. Und Irak hat bereits zweimal ernsthaft in Berlin angeklopft.

Sagenumwobener Mythos um die versunkene Stadt

Die Provinzen des heutigen Irak: Babylon lag etwa 90 Kilometer südlich von Bagdad, welches erst vor 1250 Jahren gegründet wurde.
Die Provinzen des heutigen Irak: Babylon lag etwa 90 Kilometer südlich von Bagdad, welches erst vor 1250 Jahren gegründet wurde.  © 123rf/dikobrazik

Keine längst in Schutt versunkene Stadt der Weltgeschichte hat für Europas Kultur so viele bedeutungsschwere Assoziationen wie Babylon. "Sündenbabel" gehört dazu, oder "babylonisches Sprachgewirr".

Zweifelhafte Großvorhaben werden gern mit dem "Turmbau zu Babel" verglichen. Und bibelfeste Christen wissen, dass einst die jüdische Elite gefangen genommen und hierher ins Exil verschleppt worden war.

Größte Blütezeiten erlebte Babylon im 17. und im 6. Jahrhundert vor Christus, in welchen sie jeweils die größte Stadt der Welt gewesen sein soll – vielleicht auch die Erste, die eine Bevölkerung von über 200.000 Einwohnern erreichte.

Laut dem griechischen Historiker Herodot war Babylon gewaltig und prächtig gebaut wie keine andere Stadt der Welt. Die Stadtmauern wurden auch in der Liste der sieben Weltwunder der Antike aufgeführt.

Nachdem Alexander der Große 330 v. Chr. über die Prozessionsstraße durch das Ischtar-Tor gezogen war, ließ er sich als "König von Asien" ausrufen. Babylon wurde der Sitz seines Reiches. Den beschädigten Turm ließ er abreißen, weil er ihn noch höher bauen wollte. Doch dann starb er und der Bau wurde abgebrochen.

Titelfoto: Bildmontage: imago/imageBroker/Rolf Fischer, picture alliance/ullstein bild

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