Polizeischüsse auf Mädchen: Anwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden
Von Florentine Dame
Bochum - Der Anwalt des durch einen Polizeischuss lebensgefährlich verletzten Mädchens (12) in Bochum erhebt schwere Vorwürfe gegen die Beamten: Die Ermittler sollen die Sachlage manipulativ darstellen, meint der Jurist.
Die gehörlose Mutter sowie der ebenfalls gehörlose Bruder des Mädchens schilderten die Einsatzsituation demnach ganz anders als die Polizei es in ihrer "aggressiven Pressearbeit" tue, sagte Simón Barrera González der Deutschen Presseagentur (dpa).
"Das alles ist ja im Moment noch gar nicht ausermittelt - und trotzdem stellt sich der Innenminister [Herbert Reul 73, CDU, Anm. d. Red.] bereits schützend vor die Polizei", kritisiert er.
Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft versuche die Polizei mit ihren Aussagen, das aus seiner Sicht fragwürdige Narrativ zu prägen, der Beamte habe aus Notwehr geschossen. "So etwas prägt Strafverfahren und nährt gleichzeitig Zweifel an der Objektivität der ermittelnden Behörden", so der Anwalt des Mädchens.
Die gehörlose Zwölfjährige war in der Nacht zum 17. November bei einem Polizeieinsatz in Bochum durch einen Schuss in den Bauch lebensgefährlich verletzt worden.
Familie des angeschossenen Mädchens stellt Situation anders dar als Polizei
Er habe die Familie inzwischen ausführlich mithilfe eines Gebärdendolmetschers befragt, berichtet der Anwalt. Mutter und Bruder gaben demnach zu Protokoll, dass die Messer erst in einer Paniksituation ins Spiel kamen, die die Polizei selbst verursacht habe.
Zunächst habe die Polizei in der Wohnung den Strom abgedreht. "Sie haben also gehörlose Menschen in dieser Wohnung sozusagen noch zusätzlich blind gemacht", sagt Barrera González.
Als die Mutter dann ängstlich die Tür geöffnet habe, habe man sie mit vorgehaltener Waffe zu Boden gebracht und mit Handschellen fixiert. Als dann die Polizisten die Wohnung betraten, sei das Mädchen aus der Küche gekommen und habe die Beamten laut eigenen Angaben mit zwei größeren Küchenmessern angegriffen.
"Es war aber nach meiner juristischen Bewertung kein unmittelbar bevorstehender Messerangriff", sagt Barrera González. Die Polizei habe jede Möglichkeit des Rückzugs gehabt - diese zu nutzen, gelte umso mehr, weil es sich bei seiner Mandantin um ein Kind handele.
Kritik übt der Anwalt auch an den Aussagen der Polizei zum Gesundheitszustand des Mädchens: "Noch während meine Mandantin im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte, hat die Polizei ihren Zustand als "kritisch, aber stabil" bezeichnet."
Er wirft der Polizei in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte vor, gegen die er vorgehen wolle. Das angeschossene Mädchen selbst befinde sich noch auf der Intensivstation und sei noch nicht vernehmungsfähig, so der Anwalt.
Polizei reagiert auf Vorwürfe von Anwalt
Auf Nachfrage gibt die Polizei an, die Mordkommission habe die beteiligten Zeugen zeitnah nach dem Vorfall polizeilich vernommen. Anders als der Anwalt dies darstellt, seien auch Mutter und Bruder befragt worden. Dabei seien auch Gebärdendolmetscher vor Ort gewesen.
"Wir haben versucht, möglichst objektiv anhand der Spurenlage und der Aussagen aller beteiligten Zeugen zu berichten, was in der Nacht passiert ist", sagte ein Sprecher der ermittelnden Polizei in Essen.
Nach Abschluss der noch laufenden Ermittlungen müsse ein Gericht entscheiden, ob das Vorgehen der beschuldigten Polizisten rechtmäßig gewesen sei oder nicht.
Titelfoto: Bildmontage: Christoph Reichwein/dpa, Matthias Balk/dpa

