Die einsame Heldin von Arnsdorf: Ex-Bürgermeisterin spricht im TV
Arnsdorf - Späte Würdigung, brandaktuelles Thema: Im Sommer erhielt Martina Angermann (63) den Preis "Botschafter für Demokratie und Toleranz". Vor fünf Jahren war sie als Bürgermeisterin von Arnsdorf entschieden für eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen eingetreten.

Am Mittwoch spricht sie in einer neuen Talk-Reihe auf 3Sat ("Bei Pelzig auf der Bank", 21 Uhr) darüber.
Vier Männer zwischen 29 und 56 zerren im Mai 2016 einen 21-jährigen Iraker aus einem Netto-Markt in Arnsdorf (Landkreis Bautzen) und fesseln den Flüchtling mit Kabelbindern an einen Baum. Für die damalige Bürgermeisterin Martina Angermann ein klarer Fall von Selbstjustiz.
Rechte und rechtsextreme Communities im Dorf und weit darüber hinaus sehen das anders. Die AfD im Gemeinderat betreibt ihre Abwahl. Eine Flut von Hassmails folgt. Martina Angermann bleibt bei ihrer Haltung. Aber die Angriffe zermürben sie. 2019 scheidet sie nach 18 Jahren aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt. Diagnose: Burn-out.
"Das braucht eine Weile, bis man sich eingesteht, dass es nimmer geht", sagt sie heute. Stress kann sie noch immer nicht vertragen. Ein paar wenige Kontakte von damals sind ihr geblieben. Entschuldigt hat sich wegen der Anfeindungen keiner.
"Heute bin ich drüber weg. Ich hatte eine gute Psychologin“, sagt sie. Und: "Ich würde wieder so handeln!"
Für ihre kompromisslose Haltung hat ihr das "Bündnis für Demokratie und Toleranz" (BfDT) - 2001 von zwei Bundesministerien in Berlin gegründet - im Sommer den Preis "Botschafter für Demokratie und Toleranz" verliehen. Eine Genugtuung? "Ich freue mich wirklich sehr. Aber das Wort gibt's bei mir nicht", sagt Angermann, und ihre Augen leuchten. Heute ab 21 Uhr sitzt sie bei dem Kabarettisten Frank Markus Barwasser (61) alias Erwin Pelzig auf der Bank.



Arnsdorfer Heldin Martina Angermann will ein Buch über ihre Familie schreiben
Übrigens: Das Preisgeld von 5000 Euro hat Angermann zu einem Gutteil in ihr Herzensprojekt gesteckt. Der Dreiseithof in Reitzendorf im äußersten südöstlichen Zipfel Dresdens, heute Kleinbauernmuseum, gehörte einst ihren Großeltern.
"Wenn nicht grade Corona ist, sind jeden Tag Kinder da", erzählt sie. Außerdem will sie ein Buch über ihre Familie schreiben. "Mir wird also bestimmt nicht langweilig."
Titelfoto: xcitepress, Erich Münch