Fachkräftemangel und steigende Kosten: So mies steht es in Sachsen um die Pflege

Sachsen - Wer sich für den Fall seiner Pflegebedürftigkeit Sorgen macht, hat allen Grund dazu. Ganz besonders in Sachsen. Während sich die Zahl der Pflegefälle binnen zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, stieg die Zahl der in Pflegeberufen Beschäftigten nur um ein Fünftel. Viele von ihnen gehen demnächst selbst in Rente. Ungeachtet dessen schießen die Kosten für einen Platz im Pflegeheim in unbezahlbare Höhen. Eine Bestandsaufnahme.

Der Mitarbeiterschlüssel ist in Sachsen der ungünstigste der Republik. Das spüren die Betreuten, vor allem aber das Personal.
Der Mitarbeiterschlüssel ist in Sachsen der ungünstigste der Republik. Das spüren die Betreuten, vor allem aber das Personal.  © Tom Weller/dpa

Waren im Jahr 2013 noch knapp 150.000 Sachsen Leistungsempfänger der Pflegeversicherung, erhöhte sich deren Zahl bis 2023 auf über 360.000. Kamen vorher auf 1000 Einwohner 37 Pflegefälle, waren es zehn Jahre später 89.

Dabei gibt es ein Ost-West-Gefälle: In den Kreisen Görlitz (121 je Tausend Einwohner) und Bautzen (107) ist die prozentuale Pflegebedürftigkeit höher als im Vogtland (77) und der Stadt Leipzig (63).

Der überwiegende Teil der Leistungsempfänger - 60 Prozent - wird in seinem eigenen Zuhause von Angehörigen oder Nachbarn betreut. Über 88.000 - etwa ein Viertel - nehmen die Hilfe ambulanter Pflegedienste in Anspruch und knapp 50.000 Pflegefälle befinden sich in einer vollstationären Einrichtung.

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Bereits jetzt ist die Situation angespannt, sie wird sich aber noch verschärfen. Ab dem Jahr 2030 wird der Freistaat das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt sein und diese zweifelhafte Spitzenposition lange halten.

Das liegt daran, dass die derzeit zwischen 57 und 68 Jahren alten Babyboomer langsam in Rente gehen. Mit der höheren Lebenserwartung steigt auch die Dauer der Pflegebedürftigkeit.

Jede vierte Pflegekraft kommt aus dem Ausland

Sozialministerin Petra Köpping (67, SPD) ist bewusst, dass Sachsen mehr Pflegekräfte braucht.
Sozialministerin Petra Köpping (67, SPD) ist bewusst, dass Sachsen mehr Pflegekräfte braucht.  © Norbert Neumann

Auf der anderen Seite des Pflegebettes fehlen die Fachkräfte. Die Zahl der in Pflegeberufen Beschäftigten hat sich in den letzten zehn Jahren zwar von 83.000 auf über 100.000 erhöht. Doch besonders in Pflegeheimen und bei Pflegediensten arbeiten mehr als die Hälfte nur in Teilzeit. Und knapp 20 Prozent erreichen in den kommenden zehn Jahren selbst das Renteneintrittsalter.

Zwar konnte die Zahl der Berufsabschlüsse in den letzten fünf Jahren gesteigert werden, doch das wird die Abgänge nicht ausgleichen.

Laut Sozialministerin Petra Köpping (67, SPD) fehlen 2030 etwa 5000 zusätzliche Pflegekräfte. Sächsische Heime versuchen, Fachleute aus Vietnam, Ägypten, Kirgisistan und Brasilien zu rekrutieren. Letztere sind, was das Fachliche betrifft, sogar höher qualifiziert (fünf Jahre Studium) als deutsche Pflegekräfte. In der Bundesrepublik kommt derzeit jede vierte Altenpflegekraft aus dem Ausland.

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In Sachsen ist der vorgesehene Mitarbeiterschlüssel, also wie viele Pflegefälle eine Fachkraft zu betreuen hat, der ungünstigste der Republik. Das bekommen die Hilfebedürftigen zu spüren, vor allem aber das Personal. Die Deutsche Angestelltenkasse spricht von einem historischen Tiefpunkt bei der Berufsgesundheit in der Pflege.

In Sachsen verzeichnen die Mitarbeiter durchschnittlich 53 Fehltage, werden oft wegen Erkrankungen des Bewegungsapparates und psychischen Belastungen krankgeschrieben.

Immerhin erhält die stressgeplagte Berufsgruppe außer Applaus inzwischen auch die finanzielle Wertschätzung, welche sie verdient. In den letzten zehn Jahren gab es eine Gehaltssteigerung von 88 Prozent. Berufsneulinge bekommen nach ihrer Ausbildung monatlich 3900 Euro.

Platz im Pflegeheim wird immer teurer

Die Zahl der Absolventen in Pflegeberufen konnte in den letzten Jahren auch in Sachsen gesteigert werden. Inzwischen gibt es auch ein angemessenes Gehalt.
Die Zahl der Absolventen in Pflegeberufen konnte in den letzten Jahren auch in Sachsen gesteigert werden. Inzwischen gibt es auch ein angemessenes Gehalt.  © Uwe Meinhold

Dies ist unter anderen einer der Gründe, warum die Kosten für einen Platz im Pflegeheim für viele unbezahlbar werden. Zahlte man Anfang 2024 im ersten Aufenthaltsjahr durchschnittlich noch eine Eigenbeteiligung von monatlich 2489 Euro, liegt diese nun bei 2980 Euro.

In manchen Heimen kratzt der Betrag sogar an der 4000-Euro-Grenze. Und das bei einer Durchschnittsrente von 1500 Euro. Bei vielen ist das im Leben Angesparte schnell aufgebraucht, bei der Hälfte muss inzwischen das Sozialamt einspringen.

Als der damalige Bundessozialminister Norbert Blüm vor 30 Jahren die Teilleistungsversicherung einführte, ging es beim "Jahrhundertwerk" Pflegeversicherung auch darum, die Menschen aus der Sozialhilfe zu holen. Der Plan ging - Stand heute - schief.

Vor allem wegen der hohen Sozialleistungen sind die deutschen Kommunen so verschuldet wie nie zuvor. Und weil die Pflegekassen Defizite einfahren, muss der Beitrag - wie in diesem Jahr - stets erhöht werden.

Ausbildungskosten werden Pflegebedürftigen aufgedrückt

Die Finanzierung der Pflege wird in Zukunft zwangsläufig Probleme bereiten.
Die Finanzierung der Pflege wird in Zukunft zwangsläufig Probleme bereiten.  © Bernd Thissen/dpa

Dabei könnte der Eigenanteil an den Heimkosten um mehr als einen halben Tausender gesenkt werden, wenn den Versicherten nicht noch versicherungsfremde Leistungen aufgedrückt würden.

Sie zahlen durchschnittlich 438 Euro Investitionskosten - eigentlich Aufgabe des Freistaates. Silke Heinke vom sächsischen Verband der Ersatzkassen (vdek): "Auch die Ausbildungskosten werden aktuell konsequent den Pflegebedürftigen aufgebürdet, obwohl Ausbildung Staatsaufgabe ist." Dies würde aktuell weitere 113 Euro bringen.

Solche Vorschläge wurden auch durch Sozialministerin Köpping bei den Berliner Koalitionsverhandlungen eingebracht. Dort ist man sich bewusst, dass das derzeitige Modell der Pflegefinanzierung demnächst platzen wird.

Die Lösung der Probleme wird vorerst an eine große Kommission wegdelegiert. Es gibt Zweifler, dass dies noch rechtzeitig zu Ergebnissen führt.

Titelfoto: Tom Weller/dpa

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