Männer, wollt Ihr länger leben? In Sachsen sterben sie noch immer sechs Jahre früher als Frauen
Sachsen - Mit dem Weltmännertag am 3. November und dem Internationalen Männertag am 19. November stehen unsere Männer im Mittelpunkt, allen voran ihre Gesundheit. Denn auch heute noch haben Männer eine durchschnittlich fünf Jahre - in Sachsen sogar sechs Jahre - kürzere Lebenserwartung als Frauen. Warum das so ist und was Männer tun können, um Lebenszeit aufzuholen, darüber sprachen wir mit Stefan Beier (60), Coach im Bereich Männergesundheit der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen.
TAG24: Herr Beier, was kann man sich unter Männergesundheit eigentlich vorstellen?
Stefan Beier: Grundsätzlich die körperliche, psychische und soziale Gesundheit von Männern. Aber: "Die Männer" gibt es nicht. Unterschiedliche Männer haben natürlich ganz andere Umstände und Gesundheitszustände. Pauschalisierungen sind schwierig und Männergesundheit beschränkt sich nicht auf biologische Unterschiede.
TAG24: Warum leben Männer also kürzer als Frauen?
Beier: Das liegt vor allem am schlechteren Gesundheitsverhalten und an gesundheitsschädigenden Verhältnissen. Es gibt die berühmte Klosterstudie (siehe unten), die nachgewiesen hat, dass unter gleichen äußeren Bedingungen Männer und Frauen fast gleich alt werden. Die großen Sterblichkeitsunterschiede sind nicht biologisch, sondern geschichtlich gewachsen. So war 1850 die Lebenserwartung noch etwa gleich. Die Schere ging u.a. mit der Industrialisierung auseinander.
Männer übernehmen oft die harten Jobs
TAG24: Was meinen Sie mit gesundheitsschädigenden Verhältnissen?
Beier: Ein wichtiger Faktor sind die (Arbeits-)Verhältnisse, in denen Männer leben. Auch heute werden sie immer noch angehalten, im Zweifel über die eigenen Grenzen und Gesundheitsbelange hinauszugehen, um ihre Arbeit zu erfüllen. Fast alle gesundheitlich schweren Arbeiten, wie bei der Müllabfuhr, Arbeit am Hochofen oder unter Tage, verrichten fast ausschließlich Männer, obwohl Frauen das auch könnten. Das wird in gewisser Weise gesellschaftlich erwartet, dass die harten Jobs die Männer machen, und hat natürlich viel mit dem traditionellen Bild der Geschlechter zu tun. Und viele Männer wollen das auch erfüllen, weil die Arbeit mit ihrer männlichen Identität verknüpft ist.
TAG24: Als zweiten Punkt nannten Sie ein schlechtes Gesundheitsverhalten vieler Männer.
Beier: Männer sind keine Gesundheits- oder Vorsorgemuffel, aber an vielen Stellen kümmern sie sich nicht gut und auch zu spät um gesundheitliche Belange. Das hat viel mit dem Männlichkeitsverständnis zu tun, nach dem Motto "Was mich nicht tötet, härtet ab". Aber auch weniger krasse Formen von gesundheitlicher Nachlässigkeit summieren sich zu einem schädlichen Verhalten und früherer Sterblichkeit. So sterben Männer zweimal häufiger an Lungenkrebs, an Lebererkrankungen auch. Das sind Verhaltensfolgen durch Rauchen und Alkoholmissbrauch. An Herzkrankheiten sterben Männer im Schnitt sieben Jahre früher als Frauen und sie nehmen sich dreimal so häufig das Leben. Das zeigt, dass es eine große Schieflage in der psychischen Gesundheit gibt, weil Männer den Weg in die Unterstützung nicht finden.
Hilfe bei Suizid-Gedanken
Geht es Dir nicht gut oder denkst Du daran, Dir das Leben zu nehmen, versuch, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0800/1110111, 0800/1110222 oder 116 123 erreichbar.
TAG24: Verstärken andere Faktoren diese Problematik?
Beier: Je schlechter gebildet, je geringer die ökonomische Ausstattung und je niedriger der soziale Status der Männer, desto höher ist die Sterblichkeit. Da ist mindestens so viel Entwicklungsspielraum drin wie beim Geschlechterthema.
TAG24: Gibt es Phasen im Leben von Männern, die sie besonders viel Lebenszeit kosten?
Beier: Es gibt Übergangsphasen, die schwierig sind. Da bräuchte man eigentlich externe Unterstützung, aber die gibt es oft nicht. Das ist beim Übergang in die Schule, von Schule ins Berufsleben, bei der Familiengründung, bei Partnerschaftsverlust oder bei Todesfällen. Eine extrem gesundheitsgefährdende Phase für Männer ist auch der Ausstieg aus dem Beruf. Da fallen viele in ein Loch. Und wenn man nie gelernt hat, in solchen Übergangsphasen um Hilfe zu bitten, ist die Gefahr groß, dass das mit gesundheitsschädigendem Verhalten gekontert wird, also man anfängt zu rauchen, zu trinken, übermäßig zu essen, Drogen zu nehmen, riskant Auto zu fahren oder im digitalen Daddeln zu versinken.
TAG24: Können Männer mit mehr Selbstfürsorge die fehlenden Jahre aufholen?
Beier: Sie könnten sehr viel aufholen, wenn sie sich selbstfürsorglicher verhalten würden. Aber die Verhältnisse müssen sich auch ändern. Wir müssen aufhören, als Gesellschaft zu erwarten, dass Männer über ihre Grenzen gehen. Natürlich müssen sich die Männer auch dagegen wehren. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn das ganze Umfeld etwas anderes sagt.
Klosterstudie
Die Klosterstudie - erstmals 1998 vom Wissenschaftler Marc Luy veröffentlicht und seitdem mehrmals erweitert - zeigt anhand der guten Datenlage von Ordensgemeinschaften, dass sich die Lebenserwartungen von Nonnen und Mönchen, die in Klöstern den gleichen Lebensstil pflegen, bis auf ein Jahr Unterschied annähern.
Daraus schließt man, dass vor allem Lebensumstände die Lebenserwartung beeinflussen.
Demnach erhöhen ein geregelter Tagesablauf, wenig Stress und Gemeinschaft das zu erwartende Lebensalter von Männern.
Tipps für den Alltag
- Richte Dir die Zeit für Dich selbst ein, zum Beispiel eine persönliche Männer-Stunde am Tag. Diese Zeit sollte nicht vorm Smartphone oder Fernseher verbracht werden, sondern mit Dingen/Hobbys, die wirklich guttun, helfen zu entspannen oder zur Ruhe kommen lassen.
- Hör wieder auf den eigenen Körper! Stell Dir alle paar Stunden eine Erinnerung und frage Dich: "Tut mir das, was ich gerade mache, wirklich gut?". Folge Deinen Körpersignalen und Deiner Psyche.
- Hole Dir Unterstützung (Familie, Freundeskreis), um den inneren Schweinehund zu überwinden und zum Beispiel gemeinsam Sport zu machen.
- Probleme im Job? Versuch, mit Arbeitgeber, Betriebsrat oder Kollegen eine Lösung zu finden oder die Arbeitsumstände zu verbessern. So kann die Belegschaft zum Beispiel eine betriebliche Gesundheitsförderung fordern. Wenn alles nichts hilft: Lieber kündigen!
"Arbeitnehmer haben heute gute Karten, aber bei einigen Männern herrscht zu viel Verzagtheit", sagt der Experte.
Entwicklung der Lebenserwartung
Mit Einsetzen der Industrialisierung sank die Lebenserwartung bis 1880/90 von etwa 40 Jahren (1850) bei Männern und Frauen auf 36 Jahre bei Männern und 39 Jahre bei Frauen.
Gründe waren schlechte Arbeits- und Hygienebedingungen, unter denen vor allem Männer als Haupternährer leiden mussten.
Bis heute hat sich die Lebenserwartung durch Senkung der Säuglings- und Wochenbettsterblichkeit, aber auch Fortschritte in Medizin, Hygiene, Ernährung und Arbeitsbedingungen mehr als verdoppelt.
Die Differenz blieb jedoch bestehen. So werden Männer in Sachsen durchschnittlich 78 (Dtl.: 78,5) und Frauen 84 (Dtl.: 83,2) Jahre alt.
Titelfoto: Bildmontage: picture alliance/dpa, privat

