Sachsen rüstet auf - Hat da noch jemand Bedenken?

Dresden - Dreistellige Milliardenbeträge sollen in den kommenden Jahren in die Verteidigung fließen. Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (50, SPD) setzt sich dafür ein, dass die hiesige Wirtschaft von diesem Kuchen ein Stück abbekommt. Er warb diese Woche im Landtag um Investitionen in Industrie, Mittelstand und Start-ups. Er verbindet damit die Hoffnung, dass Militär-Aufträge hierzulande Unternehmen neue Perspektiven eröffnen sowie Jobs sichern und schaffen. Ist Sachsen bereit, ins Rüstungsgeschäft groß einzusteigen? Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Eine Chance für die sächsische Automobilindustrie? Auch neue Fahrzeugtechnik ist für die Bundeswehr im Gespräch.
Eine Chance für die sächsische Automobilindustrie? Auch neue Fahrzeugtechnik ist für die Bundeswehr im Gespräch.  © IMAGO/Depositphotos

Die im sächsischen Landtag vertretenen Parteien nahmen das Starkmachen für die Rüstungsindustrie von Minister Panter als Teil der CDU/SPD-Minderheitsregierung erwartungsgemäß sehr unterschiedlich auf.

"Die heimische Wirtschaft stärkt man nicht durch Kriegsvorbereitung, sondern durch günstige Energie, weniger Bürokratie und eine deutliche Senkung der Steuerlast", sagt der AfD-Fraktionsvorsitzende, Jörg Urban (60).

Ralf Böhme (51) vom Bündnis Sahra Wagenknecht nannte im Plenum Panters Politik "befremdlich".

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Sachsen Gewalt, Bedrohung, Sachbeschädigung: Immer mehr antisemitische Vorfälle in Sachsen

Wolfram Günther (51) erklärt als wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion: "Angesichts der globalen Sicherheitslage und des auch uns bedrohenden brutalen Angriffskrieges Russlands mitten in Europa werden wir gezwungen, wieder in unsere Verteidigung zu investieren. Es gibt keinen Grund, dass nicht auch Unternehmen in Sachsen einen Beitrag dazu leisten."

Stefan Hartmann (57, Linke) sagt: "Für die und den Einzelnen ist es gut, künftig Panzerteile bauen zu können. Aber Herrn Panters Begeisterung darüber ist falsch. Rüstungsfabriken schaffen keine sinnvollen Güter, sondern Tötungswerkzeug. Wir müssen zivile Industriejobs sichern und mit Steuergeld Nachfrage schaffen, etwa im Verkehrssektor."

Stefan Hartmann (57, Linke).
Stefan Hartmann (57, Linke).  © Norbert Neumann
Jörg Urban (60, AfD).
Jörg Urban (60, AfD).  © Eric Münch
Wolfram Günther (51, Grüne).
Wolfram Günther (51, Grüne).  © Eric Münch
Deutschland plant Milliarden-Investitionen in die Bundeswehr.
Deutschland plant Milliarden-Investitionen in die Bundeswehr.  © IMAGO/Henning Scheffen

Wirtschaft sieht in der Rüstungsindustrie vor allem Chancen

Wirtschaftsminister Dirk Panter (50, SPD, 3.v.l.) nach seiner Fachregierungserklärung im Landtag im Gespräch mit Spitzenvertretern der Kammern und der Gewerkschaft.
Wirtschaftsminister Dirk Panter (50, SPD, 3.v.l.) nach seiner Fachregierungserklärung im Landtag im Gespräch mit Spitzenvertretern der Kammern und der Gewerkschaft.  © Eric Münch

"Wir begrüßen es, dass der Wirtschaftsminister mutig diese Debatte um die Produktion von Gütern für die militärische Nutzung angestoßen hat", sagen die Chefs der IHK Dresden Andreas Sperl (77) und IHK Leipzig Kristian Kirpal (51).

In der ostdeutschen Unternehmerschaft wird das Thema gegenwärtig intensiv diskutiert. Die Firmenlenker spüren, dass es starke Stimmen gibt, die dafür und dagegen sprechen.

"Wir müssen einen Weg finden, uns dazu sachlich und ohne Emotionen auszutauschen", sagen die Spitzenvertreter.

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Sachsen Rund um die Uhr geöffnet: Dieser Kiosk in Sachsen funktioniert ganz "automatisch"

Sie sehen: In Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg rollt man der Rüstungsindustrie den roten Teppich aus, wird dieser Wirtschaftszweig öffentlich ganz anders betrachtet.

Kirpal: "Grundlegend ist zu sagen, dass wir uns alle für Frieden aussprechen. Das ist das oberste Gebot. Doch das Thema Verteidigung wird immer präsenter. Tatsächlich werden bereits heute viele zivile Produkte im militärischen Sektor genutzt. Warum sollte man diese Grundlagen auch nicht nutzen?"

Die Kammervertreter sehen vor allem Chancen - zum Beispiel für Sachsens Forschungslandschaft. Sperl: "Rüstungsaufträge bestehen ja nicht nur aus der Fertigung und Entwicklung von Waffensystemen. Dazu gehören zum Beispiel auch Informations- oder Aufklärungssysteme. Dazu braucht man Software und elektronische Bauteile."

Friedensbewegte sind entrüstet

Margot Käßmann und Lutz Mükke zum Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche am 12. Mai 2025.
Margot Käßmann und Lutz Mükke zum Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche am 12. Mai 2025.  © Andreas Matthes/"Leipzig bleibt friedlich!"

"Was Panter hier präsentiert, ist keine innovative Wirtschaftspolitik, sondern eine Rückkehr zur Logik der Konfrontation – moralisch und politisch bankrott", erklärt Dr. Lutz Mükke (54).

Der Leipziger ist Sprecher der "Schwerter-zu-Pflugscharen-Allianz", der zehn Friedensorganisationen und Initiativen aus Mitteldeutschland angehören.

Das Bündnis verurteilt den Vorstoß des sächsischen Wirtschaftsministers aufs Schärfste.

Mükke: "Wer Sachsens Innovationskraft in den Dienst von Panzerbau, Rüstungs-Start-ups und Munitionsproduktion stellen will, sollte hier kein Ministeramt bekleiden."

Ex-Innenminister Horst Rasch (72, CDU).
Ex-Innenminister Horst Rasch (72, CDU).  © dpa/Ralf Hirschberger

Panters Vorstoß wird auch von Sachsens Ex-Innenminister Horst Rasch (72, CDU) gegeißelt.

Er findet es völlig unangebracht, strukturelle Schwächen in ostdeutschen Regionen auszunutzen, um Waffenproduktion als Lösung zu verkaufen. Rasch: "Wer so Krisen löst, muss sich bewusst sein, dass er damit die nächste Krise auslöst."

Den Politiker (gehörte 1990 bis 2009 dem Landtag an und war 2002 bis 2004 Minister) treibt die Sorge um, dass die Bereitschaft zum Eintritt in einen Krieg wächst, wenn die Rüstungsindustrie hierzulande erst einmal im Aufwind ist.

"Wer so Politik macht, hat nichts mehr zu bieten außer Sprengkraft", sagt Rasch, der für Friedensverhandlungen mit Russland und ein Ende der Sanktionspolitik plädiert.

So war es in der DDR

Junge Soldaten bei einer Übung im Rahmen ihrer Ausbildung bei der NVA. In der DDR belieferten zahlreiche Betriebe die Nationale Volksarmee sowie befreundete Bruderarmeen im Ostblock.
Junge Soldaten bei einer Übung im Rahmen ihrer Ausbildung bei der NVA. In der DDR belieferten zahlreiche Betriebe die Nationale Volksarmee sowie befreundete Bruderarmeen im Ostblock.  © dpa/Reinhard Kaufhold

Das Lied "Kleine weiße Friedenstaube" prägte Generationen in der DDR. Kinder sangen es in Schulen, Kindergärten oder bei Pioniernachmittagen.

Vor allem Ältere werden sich aber auch daran erinnern: In den volkseigenen Betrieben bearbeitete man damals bevorzugt Aufträge fürs Militär und die Landesverteidigung.

Sieben sächsische Beispiele für Rüstungsgüter-Produktion im Arbeiter- und Bauernstaat.

• VEB Robotron: Computer, Steuerungssysteme und elektronische Bauteile für Waffensysteme und militärische Kommunikation

• VEB Carl Zeiss Jena: Optische Bauteile/Geräte u.a. für Ferngläser, Zielfernrohre, Teleskope im Einsatz in Waffentechnik

• VEB Chemische Werke Riesa: Sprengstoffe

• VEB Mechanische Werkstätten Königswartha: Fertigung der Panzerbüchse RPG 18 und 9-mm-Munition

• VEB Flugzeugwerft Dresden: Wartung von Kampfjets der NVA und befreundeter Armeen sowie Forschung und Entwicklung

• VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa: Handfeuerwaffen

• VEB Kombinat Spezialtechnik Dresden: Munition

Titelfoto: IMAGO/Depositphotos

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