Mit Dynamo-Trikot in den Schacht: Darum lässt sich dieser Mann von Fußballfans beschimpfen
Dresden - Ist der lebensmüde? Diese Frage dürften sich einige Social-Media-Nutzer und Fußballfans in den vergangenen Wochen gestellt haben, wenn ihnen ein Video von Thomas Melchior (46) in die Timeline gespült wurde. Als "Sportwettensheriff" besucht der Magdeburger die Stadien der Bundesrepublik - gekleidet im Trikot des Erzrivalen und mit einem Schild, auf dem "Wette verloren" steht. Doch dahinter steckt viel mehr als bloße Effekthascherei, wie er im Interview mit TAG24 erklärt.

Ob im Dress von Dynamo Dresden in Aue oder mit BVB-Leibchen auf Schalke, der 46-Jährige fällt auf - und will damit das Problem der Sportwettensucht ins Rampenlicht rücken.
"Wenn ich mich einfach im Heimtrikot vors Stadion stelle und sage: 'Sportwetten sind kacke' - das interessiert niemanden", weiß der Sheriff. "Die Idee war: Wie falle ich auf und zieh' den Fokus auf mich, um den Fokus so automatisch auf diese Sache zu lenken?"
"Und mit diesem Schild 'Wette verloren' suggeriere ich, dass ich das machen muss, weil ich eine Wette verloren habe - und so ist es ja letztendlich auch", sagt Thomas mit der absoluten Überzeugung, die es braucht, um sich für Dinge zu engagieren. Im Guten wie im Schlechten.
800.000 Euro hat er über die Jahre selbst verzockt, bei Weitem nicht nur von seinem eigenen Geld. Dafür saß er knapp dreieinhalb Jahre in der JVA Dresden ein.
"Ich will, dass die Leute mich fragen: 'Was hast du denn gemacht, dass du das hier machen musst?' Weil normalerweise macht das niemand."
Beim Niedersachsenderby herrscht "blanker Hass"

Eigentlich war nur ein YouTube-Video geplant, doch die Aktionen ließen sich schnell nicht mehr geheim halten. Daher lud Thomas die Clips bei Instagram und TikTok hoch - mit Erfolg. Inzwischen folgen ihm auf beiden Portalen rund 35.000 Personen, Millionen haben seine Videos gesehen.
"Mein Postfach ist voll mit Menschen, denen es heute so geht, wie es mir mal ging", erklärt der Sportwettensheriff.
Angst habe er vor der waghalsigen Kampagne zunächst nicht gehabt - bis zu seinem mittlerweile viralsten Auftritt: "Nach dem Spiel in Hannover hatte ich Angst", gibt er zu. "Hannover gegen Braunschweig war der Moment, als ich mich kurz gefragt habe, ob das so gut ist, das zu machen. Dort ist nicht nur Rivalität zu spüren, sondern blanker Hass."
Diese Emotionalität mache er sich aber zunutze, um vor allem die Jugend mit seinem Negativbeispiel zu warnen. "Gar nicht erst anfangen", ist heute der einzige Tipp, den er noch abgibt. Dafür bekommt er vor Ort auch viel Zuspruch.
"Mittlerweile hat mich der Erfolg ein bisschen eingeholt, denn diese negativen Reaktionen gehören ja eigentlich dazu", sagt Thomas, der seine Besuche inzwischen auch mit den Klubs abspricht. Im Erzgebirge unterstützte ihn sogar Vereinspräsident Roland Frötschner (72).
"Wenn du im Dynamo-Trikot zu Aue gehen kannst, dort lebend rauskommst und der Präsident dich sogar noch vor den Ultras verteidigt, dann zeigt das, dass Fußball auch verbinden kann."
"Sportwettensheriff" Thomas Melchior will nicht "sinnlos Konflikte für Social Media provozieren"

Aufhören will Thomas aber noch lange nicht. Bald sei auch ein Besuch in Dresden geplant, dazu befinde er sich schon in Gesprächen. "Sicherheit geht vor", so der Sportwettensheriff. "Mir geht es nicht darum, sinnlos Konflikte für Social Media zu provozieren. Aber wenn das in Dresden klappt, dann wird es richtig spektakulär."
Mit dem Engagement helfe er auch sich selbst, denn dieses sei seine "eigene Spielsuchtprävention". Und außerdem endlich ein Gegenpol zur finanzstarken Sportwettenlobby im Fußball.
"Tipico und Co. haben Millionen und Milliarden zur Verfügung, die habe ich nicht. Ich habe einfach einen Besenstiel in der Mitte zersägt, ein Schild beschrieben und mir ein Trikot übergezogen - und damit teilweise deutlich mehr Wirkung erzielt als jede Werbekampagne."
Titelfoto: Stefan Häßler