Ist der Regierung der Sport egal? Verbands-Boss übt heftige Kritik!

Berlin/Budapest - Der Aufschrei nach der medaillenlosen WM in der Leichtathletik ist riesengroß, die Athleten werden hart kritisiert, doch jetzt hat der Verbands-Boss Jürgen Kessing (66) zum Rundumschlag gegen die Bundesregierung ausgeholt.

Der Vorsitzende des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Jürgen Kessing (66), übt heftige Kritik an der Bundesregierung.
Der Vorsitzende des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Jürgen Kessing (66), übt heftige Kritik an der Bundesregierung.  © Michael Kappeler/dpa

Am letzten Wettkampftag in Budapest sprach der gebürtige Wormser auf einer Pressekonferenz Klartext.

"Ich beklage mich immer, dass Sport nicht die entsprechenden Fürsprecher in Berlin hat. Da wird auf vieles Wert gelegt, aber auf das nicht", sagte der Vorsitzende des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

Er äußert klare Vorstellungen darüber, was er sich von Berlin wünscht: "Und wenn ich mir unsere gesellschaftliche Entwicklung anschaue - bei uns geht die Wirtschaft runter, der Sport, angefangen bei Fußball über andere Sportarten. Ich glaube, wir hatten mal einen Präsidenten, der sprach von einem Ruck, der durch Deutschland gehen muss. Wir müssen uns darüber im Klaren werden, dass der Sport eigentlich nicht nur für uns, sondern für viele, viele Menschen einen unglaublichen Stellenwert hat und er auch nicht isoliert betrachtet werden muss", so Kessing.

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Dieses "Crossover" aus soziologischen, gesundheitspolitischen und am Ende auch wirtschaftlichen Effekten sei "in Berlin offenbar gar nicht so bewusst".

Jürgen Kessing fordert Milliarden-Investition in den Sport in Deutschland

Julian Weber (28) verpasste am Sonntag die letzte Chance auf eine Medaille für den DLV bei der WM in Budapest.
Julian Weber (28) verpasste am Sonntag die letzte Chance auf eine Medaille für den DLV bei der WM in Budapest.  © Sven Hoppe/dpa

Dem Vorwurf, die Förderung des Sports sei finanziell in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, setzt er entgegen: "Das Geld, das in Texas an der Universität zur Verfügung gestellt wird, ist ungefähr das Geld, das in Deutschland für den gesamten Leistungsport bereitgestellt wird vom Bund. Rund 300 Millionen hört sich zwar viel an, ist aber vergleichsweise wenig", verdeutlicht der Boss.

Er findet es richtig, dass die Grundsicherung für Kinder kommt, doch in seinen Augen kann der Sport eine wesentliche Rolle für die Jüngsten im Land und die gesamte Gesellschaft spielen. "Ich würde gern die eine oder andere Milliarde in den Sport reinstecken und dann würde ich auch die Kinder starkmachen, würde sie über den Sport sozialisieren, ich würde sie stärken, auch gegenüber Erwachsenen entsprechend standhaft zu sein. Da wäre das Geld sinnvoll angelegt", ist sich Kessing sicher.

Doch wie schon in der Corona-Zeit, als Sportstätten dauerhaft geschlossen wurden, die wichtige Bewegung von Erwachsenen und Kindern enorm eingeschränkt und die Limitierungen erst spät wieder gelockert wurden, scheint der Sport in der Regierung - wenn überhaupt - nur eine Nebenrolle zu spielen.

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Spitzenförderung ist richtig und wichtig, doch Kessing spricht von einem generellen Investment in einen Bereich, der mindestens genauso elementar in der Gesellschaft ist wie Wirtschaft und Kultur.

Leichtathletik-Boss wünscht sich eine Bewerbung für die Olympischen Spiele in Deutschland

Der DOSB hat die Initiative "Deine Ideen. Deine Spiele" gegründet, um die Bevölkerung frühzeitig für eine deutsche Olympia-Bewerbung zu begeistern.
Der DOSB hat die Initiative "Deine Ideen. Deine Spiele" gegründet, um die Bevölkerung frühzeitig für eine deutsche Olympia-Bewerbung zu begeistern.  © DOSB/dpa

Deshalb wünscht er sich eine neuerliche Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036. "Wir haben seit 50 Jahren keine Olympischen Spiele in Deutschland gehabt. Das würde einen unglaublichen Anreiz auslösen, weil man dann wieder diese acht bis zwölf Jahre im Vorfeld hat, wo man sich auch als junger Mensch darauf freuen und vorbereiten kann. Und es würde helfen, die sportliche Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen, da ist einiges vernachlässigt worden. Da haben wir viel nachzuholen", legt er den Finger in die Wunde.

Die Maßnahmen müssten im Schulsport beginnen und dabei hätte auch Olympia im eigenen Land seinen Effekt, einen Anreiz, der den jungen Menschen eine Vision direkt vor der Haustür liefern könnte. "Wir müssen viel mehr im Schulsport tun und da hätten Olympische Spiele auch den Reiz, sich wieder mehr mit olympischen Sportarten auseinanderzusetzen und nicht nur die Fun-Sportarten dann zu pflegen", so Kessing.

Ob seine Worte bei der Bundesregierung Gehör finden, ist fraglich. Denn der bereits beschlossene Bundeshaushalt sieht eine Senkung der Mittel von 303 Millionen auf 276 Millionen Euro vor.

Olympiasieger Robert Harting kritisiert neues System der Spitzensport-Reform

In das gleiche Horn wie Kessing bläst auch der Olympiasieger und dreifache Weltmeister im Diskuswerfen, Robert Harting (38). "Richtig krank ist in meinen Augen dieses Potts System. Was aus Misstrauen der Politik ggü dem DOSB gegründet wurde. Das sagt alles", kritisiert er scharf.

Das Potenzialsanalysesystem (PotAS) ist ein Teil der Spitzensport-Reform, bei der die Fördergelder des Bundes stärker anhand von Erfolgserwartungen und Medaillenchancen verteilt werden sollen. Auch die Abschaffung von Tabellen, Ergebnisse und Urkunden sei in seinen Augen total falsch.

Der Sport in Deutschland steht definitiv schon seit Langen am Scheideweg und der Erfolg wird weiterhin maßgeblich davon abhängen, inwieweit die Regierung bereit ist, diesen so wichtigen Teil der Gesellschaft zu fördern und seinen Wert zu erkennen.

Titelfoto: Bildmontage: Michael Kappeler/dpa, Sven Hoppe/dpa

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